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Leute, ich fuehle mich leicht

Titel: Leute, ich fuehle mich leicht
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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ich mich nun ans Werk machen.
    Also latsche ich runter in den Keller und hole mir ein bisschen was von Mamas Ton. Der gammelt in dem grauen Plastikeimer neben der Drehscheibe vor sich hin. Wenn Mama Zeit hat, töpfert sie wie gesagt Vasen. Solche mit runden Bäuchen und langen Hälsen. Aber in letzter Zeit ist Mama nicht mehr zum Vasentöpfern gekommen, weil sie nonstop Problemgespräche mit Cotsch führen muss. Und wenn die beiden dann genug geflennt haben, streiten sie sich, weil Mama es immer wieder schafft, zum krönenden Abschluss eine blöde Bemerkung zu machen, die Cotsch auf die Palme bringt. Zum Beispiel: »Nimm es mir nicht übel, aber vielleicht solltest du deine Jeans nicht ganz so eng tragen. Das sieht primitiv aus.« Und schon geht es rund. Cotsch flippt durch ihr Zimmer und tritt gegen den Kleiderschrank, um das überschüssige Adrenalin wieder abzubauen: »Du bist so scheiße, Mama, du nimmst mir mein ganzes Selbstvertrauen.« Und als Nächstes droht sie damit, sich umzubringen, wenn Mama ihr keine Brustvergrößerung bezahlt. Per Pulsaderschnitt oder Sturz von der Autobahnbrücke.
    Ich weiß, das klingt schräg, aber für mich ist es die Normalität. Ich meine, ich lebe mit diesem Affentheater schon eine ganze Weile und zum Glück habe ich meine Kunst und meine andere beste Freundin. Die heißt Tessi und wohnt direkt in der Innenstadt. Tessi hat schon alle Höhen und Tiefen des Lebens durchschritten - das kann man sagen. Die weiß, wie der Hase läuft. Die kann nichts mehr schocken. Ihre Mutter war schon zweimal verheiratet und ihr Vater auch. Vor ein paar Jahren hat er abschließend die Tochter seines Pokerfreundes geheiratet - die ist jetzt schon wieder schwanger. Tessi erzählt mir diese Geschichten ganz ungerührt, so als ginge sie das alles überhaupt nichts an. Die ist voll abgebrüht, dabei sieht sie gar nicht so aus. Sie hat sehr blasse, fast durchsichtige Haut. Dafür hat ihr der liebe Gott allerdings zwei ordentliche Dinger drangeklebt, solche, wie sie Cotsch gerne hätte. Mein lieber Schwan. Manchmal denke ich: Tessi ist eine biologische Mutation oder so. Wenn ich vor ihr stehe, muss ich mich immer zwingen, meinen Blick abzuwenden. Im Übrigen hat sie heute Abend in ihrer Schule eine Theateraufführung: »Frühlingserwachen« heißt das Stück.
    Ich gehe natürlich hin, weil ich ihre Schule wesentlich besser finde als meine. Besonders die Jungs. Die haben ein Gefühl für Style. Ich stehe auf Jungs, die was aus sich machen. Also nicht diese parfümierten Vollidioten in Poloshirts mit hochgestelltem Kragen, sondern harte Jungs, die schöpferisch tätig sind. Eben solche Künstlertypen laufen da rum. Auf meine Schule gehen nur Alkoholiker, die Klebstoff schnüffeln. Mit denen ist nicht mehr viel los. Die haben aufgegeben. Die haben kein Lebensziel mehr - ist jedenfalls meine erschütternde Diagnose. Mit einem von denen habe ich trotzdem mal auf einer Schulparty im Gebüsch rumgeknutscht. Ich sage mal: Da hätte ich auch gleich eine Tube UHU auslutschen können. Der hat so was von nach Lösungsmitteln geschmeckt. Und richtig sprechen konnte er auch nicht mehr. Ich kam mir echt vor wie Christiane F. aus dem Film »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo«. Den Streifen mussten wir uns mal in Gemeinschaftskunde auf DVD ansehen, damit wir wissen, was auf der Welt eigentlich los ist. Ich finde, das ist der richtige Lehransatz. Man muss die Schüler mit der Realität konfrontieren. Sowieso finde ich, dass Grenzerfahrungen zu einem facettenreichen Leben dazugehören. Man muss wissen, wovon man spricht.
     
    Ich knipse das Licht im Keller an und teile mir mit meinen Händen ein großes Stück von dem zähen grauen Tonklumpen ab, falte die Folie wieder ordnungsgemäß darum, weil es sonst Ärger gibt. Obwohl das Mamas Ton ist, kontrolliert Papa jeden Abend, wenn er in den Keller zum Schuheputzen geht, ob er auch luftdicht verpackt ist. Überhaupt kontrolliert Papa gerne. Der ist der totale Kontrolleur: ob in Cotschs und meinem Zimmer die Lichter aus sind, sobald wir sie verlassen haben, ob nachts die Fenster zum Lüften gekippt sind, ob alle Türen geschlossen sind und so weiter. Ich meine, er ist nicht umsonst Steuerberater geworden. Im Kopf hat er eine richtige Checkliste - inzwischen haben Cotsch und ich die natürlich auch verinnerlicht. Mama sowieso, weil es sonst - wie gesagt - Ärger gibt. Und davor fürchtet sich Mama. Dann fängt sie vor lauter Aufregung an zu stottern und ihre Pupillen fangen an zu
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