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Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Titel: Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
Autoren: Herbert Dutzler
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„Dass das ausgerechnet jetzt passieren muss!“ Kahlß hatte, wie Gasperlmaier wusste, noch drei Jahre bis zur Pension, dennoch hatte er sich schon im Vorjahr angewöhnt, jeden außergewöhnlichen Vorfall, der dazu geeignet war, seine Arbeitsbelastung wie seinen ohnehin schon überhöhten Blutdruck aus der Balance zu bringen, lauthals zu bejammern – warum denn das ausgerechnet so kurz vor der Pension passieren habe müssen. Dennoch, Kahlß war sonst die Ruhe in Person. So wie sein Bauch war sein phlegmatisches Verhalten im Laufe der Dienstjahre langsam, aber ebenso stetig angewachsen.
    Nachdem sich Kahlß ausgiebig gekratzt hatte, beugte er sich zu der Leiche hinunter, um ihr ins Gesicht zu sehen. „Der Doktor Naglreiter!“, entfuhr es ihm nun. „Was macht denn der hier?“ Gasperlmaier war sich sicher, dass Kahlß eine rein rhetorische Frage gestellt hatte, auf die er weder von ihm, Gasperlmaier, noch von der Leiche eine aufschlussreiche Antwort erwartete.
    „Du kennst ihn?“, fragte Gasperlmaier den Friedrich ebenso rhetorisch wie unnötig. „Freilich! Meine Schwägerin, die Evi, putzt bei ihm. Hat geputzt“, besserte sich Kahlß aus. „Hast du ihn nicht gekannt?“ Gasperlmaier musste verneinend den Kopf schütteln. Oft hatte er schon feststellen müssen, dass er viel weniger Leute kannte als seine Kameraden bei Feuerwehr und Polizei. Er interessierte sich nicht so für die Migranten aus Wien und den Landeshauptstädten, ihm waren die Altausseer und die Ausseer genug. Vielmehr blickte er mit ein wenig Verachtung auf jene herab, die im Wirtshaus immer wieder versuchten, sich mit den Halbprominenten aus Wien, wie er sie bei sich nannte, wichtig zu machen, besonders mit dem ehemaligen, nun über siebzigjährigen Minister, der hier herinnen gern den Salzbaron gab und wie einst der Kaiser jedes denkbare Klischee zu bedienen versuchte. So war er zum Beispiel schon häufig dabei zu beobachten gewesen, wie er mit Lederhose und Gamsjackerl angetan mit der Plätte über den See zum Kahlseneck hinüberfuhr.
    „Der Doktor Naglreiter!“, wiederholte Kahlß, sich am Kinn kraulend. „Die Lederhose ist mir gleich so bekannt vorgekommen.“ Auf den fragenden Blick Gasperlmaiers hin erklärte Kahlß, der Doktor Naglreiter habe seine Schwägerin, die Evi, vor ein paar Monaten gefragt, wo er denn eine gute Altausseer Lederhose, wenn möglich maßgeschneidert, herbekomme, ohne ein oder zwei Jahre warten zu müssen. „Weil vielleicht bin ich dann schon tot!“, habe er zur Evi gesagt, so Kahlß, „und jetzt, schau ihn dir an, jetzt hat er die Lederhose, die neue, und ist trotzdem tot. Und die Lederhose ist auch hin.“
    Die Evi habe also, fuhr der Kahlß Friedrich fort, dem Doktor Naglreiter geraten, sich an den Traninger draußen in Aussee zu wenden, und dort habe man zwar gejammert, die Näherin sei im Krankenstand, die kriege eine neue Hüfte, und man könne eigentlich keine Aufträge mehr annehmen, und dann habe man dem Doktor Naglreiter nach längerem Hin und Her doch eine neue Altausseer Lederhose angemessen, weil er natürlich die teuerste aller offerierten Möglichkeiten gewählt hatte, und sie war doch noch rechtzeitig zum Kirtag fertig geworden.
    „Wenigstens hat er sie noch einmal tragen können“, meinte Gasperlmaier, ein wenig erleichtert, „und ganz hin ist sie auch wieder nicht, wegen dem bisschen Blut. Hat er denn einen Sohn, der Doktor Naglreiter, der die Hose kriegen kann?“, wollte Gasperlmaier noch wissen, denn er teilte die Sorge des Kahlß Friedrich um das wirklich sehenswerte Stück, das da jetzt am toten Hintern des Doktor Naglreiter hängend im Dreck der Wiese lag, in der das Klosett aufgestellt worden war.
    „Freilich“, entgegnete der Friedrich, „zwei Kinder hat er, der Doktor, die sind beide schon erwachsen, der Sohn, meine ich, ist Student, und die Tochter!“, Kahlß pfiff durch die Zähne, „mein Lieber, da tut sich was, wenn die ihren Balkon im Dirndl spazieren trägt. Aber der Sohn, das ist eine rechte Krätzn, der spielt gern den großen Herrn, schmeißt mit dem Geld um sich, obwohl er selber gar keins verdient.“
    „Du, Kahlß“, erkundigte sich Gasperlmaier, „was für ein Doktor ist denn eigentlich der Doktor Naglreiter?“
    „Das weißt du auch nicht?“ Kahlß zog verwundert die Augenbrauen hoch.
    Gasperlmaier ließ es bleiben, dem Kahlß zu erklären, dass er wohl sehr schlecht wissen konnte, was für ein Doktor der Naglreiter gewesen sei, wenn er ihn gar nicht
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