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Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Titel: Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
Autoren: Herbert Dutzler
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Gasperlmaier sofort klar, das geschulte Auge nahm die Unterschiede schon im Rückenmark wahr, das Gehirn musste mit solchen Selbstverständlichkeiten gar nicht erst beschäftigt werden.
    Diese neue Lederhose war nun aber, und das war eigentlich das, was Gasperlmaier noch nie gesehen hatte, übel zugerichtet. Und das ist eine Altausseer Lederhose nicht etwa wegen ein paar vernachlässigbaren Urinresten, die, wie man weiß, auf das Leder höchstens erhaltend einwirken. Nicht umsonst gerben ja die Beduinen ihre Ledernen mit Kamelurin, wie Gasperlmaier wusste. Der bedenkliche Zustand der Ledernen offenbarte sich in dicken rotbraunen Verkrustungen, die über das Hosentürl liefen und zwischen den Schenkeln des Mannes verschwanden, während das Leder auf den Oberschenkeln sauber und neu glänzte. Die gröbste Sauerei bestand darin, worauf, vielmehr worin der Mann saß. Der Lederhosenhintern befand sich inmitten einer eingetrockneten Blutlache, die sich nahezu über die ganze Bank ausgebreitet hatte und zu Boden getropft war, denn auch auf den graubraunen Brettern unter der Bank meinte Gasperlmaier, schwärzliche Krusten wahrzunehmen.
    Eigentlich, exakt betrachtet, war es keine Lache mehr, worin der Mann saß, denn das hätte das Vorhandensein von Flüssigkeit impliziert, vielmehr war es ein dünner Film dunkelroten, fast braunen, eingetrockneten Saftes mit dicken Schlieren darin. Das machte Gasperlmaier eines klar: Jetzt blutete der Mann nicht mehr.
    Routiniert und doch von Scheu, Ekel und Ehrfurcht zugleich ergriffen – wie wenn man durch dickes Panzerglas eine Gabunviper betrachtet –, trat Gasperlmaier an den Mann heran und tastete an dessen Hals nach etwa noch vorhandenem Pulsschlag. Rasch zuckten seine ausgestreckten Finger zurück, als sie das erkaltete, leblose Fleisch berührten.
    Man darf jetzt nicht dem Irrtum verfallen, Gasperlmaier hätte langsam, zögerlich, unentschlossen oder allzu bedächtig gehandelt, nein, all das spielte sich in des Polizisten kriminalistisch geschultem Hirn binnen weniger Zehntelsekunden ab: das Erinnern an frühere Auffindungen sogenannter Schnapsleichen, das Wahrnehmen des Zustands des Aufgefundenen, das Urteil über Herkunft und soziale Stellung: das alles in Zehntelsekunden, wenn nicht Hundertstel. Und nach vielleicht, grob geschätzt, zwei bis drei Zehntelsekunden kam Gasperlmaier zu der eindeutigen Schlussfolgerung: Da saß ein unlängst verstorbener wohlhabender Sommerfrischler.
    Auch Gasperlmaiers nächster Entschluss war binnen Sekundenbruchteilen gefasst: Er brauchte einen Schnaps. Das Entdecken von Leichen, das Anfassen kalten Fleisches, das Blut – das war für einen Altausseer Polizisten nichts Alltägliches, es gehörte schon zu den Besonderheiten, die dringend der Entspannung durch Hochprozentiges bedurften. Viel länger als die Analyse der Situation gedauert hatte, brauchte Gasperlmaier für die Suche nach geeignetem Stoff – der Wirt im Altausseer Bierzelt war nicht so dumm, den Schnaps nach der Sperrstunde offen herumstehen zu lassen. Nach Minuten des Herumirrens im vom frühen Morgenlicht fahl erleuchteten Bierzelt entdeckte Gasperlmaier zwischen schmutzigen Gläsern eine Schnapsflasche, in der sich noch ein Fingerbreit glasklarer Flüssigkeit befand. Gasperlmaier roch und stürzte den Rest, für gut befunden, hinunter.
    Neuerlich war eine Entscheidung zu treffen, die gründliches Nachdenken erforderte, das nun mehr als nur Sekundenbruchteile dauerte. Folgendes galt es zu überlegen: Rief Gasperlmaier nun, wie die Vorschrift es verlangte, seinen Vorgesetzten an, würde in einer halben Stunde das gesamte Festgelände von farbigen Kunststoffbändern umgeben und damit abgeriegelt sein. Das Bierzelt würde seinen Betrieb verspätet, um Stunden verspätet, oder gar überhaupt nicht aufnehmen. Es galt abzuwägen, ob der auf der Bank zusammengesunken dasitzende Tote dieses außergewöhnlich hohe Risiko wert war. Wie viele Hundert Altausseer, Ausseer, Grundlseer, Goiserer und wer weiß noch alles würden bitter enttäuscht nach Hause zurückkehren und sich am Ende dort betrinken müssen, der Höhepunkt im Festkalender des Dorfes würde unwiederbringlich dahin und zerstört sein. Und das, wo das Wetter sich anschickte, einen warmen Spätsommertag einzuleiten, wie geschaffen für die Promenade auf dem Kirtag und die Einkehr im Bierzelt.
    Gasperlmaier wog die Alternativen ab. Er konnte den Toten beiseiteschaffen, irgendwo hinter die Hecke, die die große, zum See hinunter
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