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Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Titel: Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
Autoren: Herbert Dutzler
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in sich eine Besonderheit: Frei stehende Stahlwannen, in die man sein Wasser abzuschlagen hatte, waren nicht etwa in einem Wagen, einem Nebenzelt oder vergleichbaren, sonst durchaus üblichen Baulichkeiten untergebracht, sondern lediglich von einer etwa brusthohen Pappkartonwand abgeschirmt, sodass der Benutzer des Pissoirs, je nach Ausrichtung, während seiner Tätigkeit den Blick auf den Tressenstein oder auf die sonnendurchflutete Trisselwand lenken konnte. Manche sahen das als Vorteil – immerhin tauschte man Uringestank und schmutzigweiß gestrichene, von Fliegen dicht bevölkerte Pissoirwände gegen einen grandiosen Blick in die Landschaft des Salzkammerguts ein. Die Ausblicke, die man vom Pissoir des Altausseer Bierzelts genießen konnte, zierten anderswo Kalenderblätter oder die Umschläge von Reiseführern. Gasperlmaier allerdings hatte sich mit dieser Weise, sich im Übermaß genossenen Bieres zu entledigen, niemals anfreunden können. Gewiss konnte man während des Benutzens des Urinals zuvor begonnene Unterhaltungen mit beispielsweise der draußen wartenden Begleiterin ohne lästige Unterbrechung weiterführen, doch Gasperlmaier waren die Freuden des ungezwungenen Gesprächs während des Wasserlassens nicht zugänglich. Gestern erst hatte er kurz nach Einbruch der Dunkelheit das Pissoir aufgesucht, während seine Frau draußen gewartet hatte. Gerade während der so heiklen Anfangsphase hatte sie zu ihm hin gelächelt: „Geht’s leicht nicht?“, und es war wirklich nicht, zumindest nicht gleich und nicht leicht, gegangen.
    Sogar ein Kameramann hatte sich vor der Anlage herumgetrieben, professionell ausgerüstet, mit einem Assistenten, der an einer langen Stange ein pelziges Mikrofon herumtrug. Ob Gasperlmaier gefilmt worden war, wusste er nicht zu sagen. Jedenfalls gab es Angenehmeres, als womöglich in einer Fernsehsendung dämlich grinsend beim Urinieren gezeigt zu werden, wenn auch nur von der Brust aufwärts. Ohnehin hatte er die Fernsehdokumentationen satt, in denen Bräuche des Ausseerlandes als originell, aber kurios dargestellt wurden – in einer Art und einem Tonfall, in dem der Sprecher auch einen Film über die Humboldtpinguine an der südchilenischen Küste kommentieren würde. Gasperlmaier verstand sich nicht als putziges Kuscheltier der Großstädter, sicher nicht.
    Gasperlmaier ließ seine Last fallen und zwischen den Urinalen zu liegen kommen, sodass der Körper des Toten mit den beiden im rechten Winkel zueinander aufgestellten Rinnen ein Dreieck bildete.
    Die Leiche war aus dem Bierzelt beseitigt, die größte Gefahr abgewandt. Doch wie ein Stromstoß durchfuhr es Gasperlmaier siedend heiß, als er bereits das Mobiltelefon am Ohr hielt und die Nummer des Postenkommandanten gewählt hatte: Wenn das Pissoir gesperrt werden musste, konnte dann überhaupt das Bierzelt geöffnet werden? Wohin mit all denjenigen, die ein dringendes Bedürfnis verspürten? Konnte die Toilettenanlage im Gebäude der Tourismusinformation den Zustrom aufnehmen und verkraften?
    Zu spät, um für diese Probleme nach einer Lösung zu suchen: Der LKW der Brauerei hatte nur wenige Meter von Gasperlmaier entfernt angehalten, und Gasperlmaiers Vorgesetzter, der Kahlß Friedrich, hatte sich bereits gemeldet: „Gasperlmaier? Was ist?“
    Gasperlmaier meldete den Fund eines Toten im Pissoir des Bierzelts, und den gehaltvollen Flüchen des Postenkommandanten entnahm er unschwer, dass auch diesem der Vorfall, an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt, schwer zu schaffen machte. „Das ist jetzt ein Riesenproblem, Gasperlmaier, ist das!“ war, von den Kraftausdrücken abgesehen, sein erster Kommentar, worauf Gasperlmaier hilflos die Schultern zuckte, ohne sich der Tatsache bewusst zu werden, dass Mobiltelefone körpersprachliche Signale nicht zu übertragen pflegten.

2
    „Herrgottsakrament!“, entfuhr es dem Kahlß Friedrich, nachdem er seinen massigen Leib durch die Eingangsöffnung des Pissoirs gezwängt hatte. Gasperlmaier empfand Erleichterung darüber, dass er nun nicht mehr mit der Leiche allein war. Auch bereute er bereits jetzt sein voreiliges Handeln – der deutliche Druck, der leichte Schmerz, das Ziehen im Magen – all das Zeichen, die ihm klar sagten: Du hast etwas falsch gemacht, Gasperlmaier. Das wird dir noch Ärger bereiten.
    Kahlß stand zunächst ebenso untätig wie unschlüssig neben seinem Untergebenen, nahm sein Kapperl ab und kratzte sich an dem spärlichen, ihm noch verbliebenen Haarkranz.
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