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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Formulierung seines Anliegens. „Onkel Urban-Helge“, begann er ein wenig stotternd, da er sich an diese von seinem Vater vor Jahren anbefohlene Anrede immer noch nicht gewöhnen konnte, weil ihm dieser Mann so fremd vorkam wie kein Mensch sonst, „ich wollte dir nur mitteilen, dass die Premiere der Räuber ein großer Erfolg war, und dich herzlich bitten, es vielleicht doch möglich zu machen, eine der nächsten Vorstellungen...“  
    „Schon recht, Junge“, unterbrach Romboy, „ich habe leider nicht kommen können, weißt du, lauter Arbeit, Konferenzen und solche Sachen. Eventuell klappt es Anfang bis Mitte November, mich ... ein wenig frei zu machen... Sonst noch was auf dem Herzen?“ Der Bonze schaute ostentativ auf die Uhr. „Mir pressiert es nämlich, weil...“
    Auf diese Weise zur Eile getrieben, zog Johannes hastig das Telegramm von Patricia hervor und sagte: „Schöne Grüße von meiner Schwester soll ich ausrichten.“ Er steckte das Papier rasch wieder weg und zog einen Brief aus der Jackentasche.
„Ich wollte dich nur bitten, Onkel Urban-Helge, diesen Brief, wenn möglich, über einen Piloten der Interflug... Sie will doch bestimmt rasch wissen, ob alles glücklich abgelaufen ist, und wartet sehnsüchtig...“
    „Na, gib schon her!“ fuhr ihm der Vormund erneut über den Mund. Johannes übergab ihm das Schreiben und ärgerte sich, dass ihm die Hand dabei zitterte, was dem anderen gewiss nicht entging. „Also gut“, fuhr Romboy gnädig fort, „ich werde sehen, was sich machen lässt. Aber nun Schluss mit der Unterhaltung, mein lieber Johannes, ich muss dringend für eine Mandantin noch... Und nachher habe ich eine leidige Konferenz – es geht um die Kürzung von Finanzzuweisungen, die ich ausgleichen muss mit Krediten aus Westd...“ Er hüstelte zusammenschreckend, ehe er fortfuhr: „...auf Wiedersehen also, bis zum nächsten Mal.“ Damit reichte er ihm seine Fingerspitzen, ohne ihn anzublicken, weil er bereits mit der Linken den Telefonhörer abgehoben und zu wählen begonnen hatte.
    Als Johannes, das Boulevardblatt mit der Schlagzeile LUSTMORD IN VANDALITZ und dem Bild des Opfers, seiner Tante Geneviève, ans rasend klopfende Herz gepresst, später seine Freunde aufsuchte, fand er auch sie in befremdlicher Verwirrung. Auf seine Frage, was denn – in Gottes Namen – noch passiert sei, dass sie solche verstörte Gesichter zögen, berichtete Willi, Michaela habe die Nachricht erhalten, dass ihr Jürgen bei dem Versuch, den Zaun der bundesdeutschen Botschaft in Prag zu überwinden, unglücklich gestürzt und an den Folgen des Unfalls gestorben sei. Daraufhin habe Michaela ein ganzes Röhrchen Schlaftabletten genommen. Betroffen starrte Johannes seine Freunde an. „Aber warum denn nur? Wie steht es um sie?“ drängte er, und da keiner antwortete: „Wird sie auch...?“
    „Die Mutter ist kurz danach, als Ela schon bewusstlos war, dazugekommen“, sagte Willi leise, „weil ihr Ingrid von der Todesnachricht erzählt hat. Sie hat gleich im Krankenhaus angerufen, ein SMH-Wagen hat sie ins Spital geschafft, und man hat ihr den Magen ausgepumpt. Mamma ist noch dageblieben, hat aber nachher zur Arbeit gehen müssen. Erst in ein paar Stunden werden sie sagen können, ob sie durchkommt.“
    Nach der abendlichen Vorstellung fand Willi einen Zettel von Ingrid auf dem Küchentisch: „Das Krankenhaus hat vorn beim Wirt angerufen, dass Ela außer Gefahr ist. Mamma weiß es schon. Besuchen darf man Ela noch nicht. Ingrid.“
     
    Aber wir sind wieder viel zu weit zurück. Dreißig Tage zu den Anfängen wollen wir retour und haben den letzten noch nicht vollends Revue passieren lassen. Den 9. November 1989, mit dem schlagartig für jedermann das Leben in zwei Teile zerfiel, zwischen denen es keine Verbindung mehr geben sollte: in den, der noch vor Stunden, vor der Wende, das Leben der Menschen hinter Mauer und Stacheldraht bedeutete, und jenen, der die Gegenwart in Reise-, Meinungs- und Lebensfreiheit bildete. Niemand ahnte es, am wenigstens vielleicht die Genossin Friederike Wagner-Gewecke, das Mannweib, die mit ihrer rothaarigen Freundin Carmen Denikin auf dem Balkon im sechsten Stock des Hauses Nummer 17 der Karl-Marx-Allee stand, aufgeregt wisperte und drohende Gebärden vollführte. „Alles ist restlos verfahren!“ rief die Genossin wütend, die um der Befriedigung ihrer Luxusbedürfnisse willen sogar diesen Mord billigend in Kauf genommen hatte. „Da drunten wird heut der Sozialismus zu
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