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Letzter Akt in Palmyra

Titel: Letzter Akt in Palmyra
Autoren: Lindsey Davis
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ich für ihn geschrieben hatte: »Herrin! Die junge Dame hat soeben Zwillinge zur Welt gebracht!«
    Nur sagte er den nicht.
    Er spielte auch nicht die Rolle, die ich ihm zugedacht hatte, sondern den traditionellen Sklavenboten: »Oh ihr Götter, was für ein Schlamassel …« Er rannte so schnell, daß er die Reisenden und ihr Muli einholte. »Ich brech noch zusammen. Moschion aufs Land geschickt, seine Mutter in Tränen, der Haussegen schief und der Bräutigam wütend, und jetzt dieses Mädchen – warten Sie, ich werd Ihnen alles über das Mädchen erzählen, wenn ich dazu komme. Aber erstmal will ich ein kleines Schwätzchen mit diesen Reisenden hier halten.«
    Und während mir das Herz tiefer in die Hose sank, als ich es je für möglich gehalten hatte, begann Congrio, einen Witz zu erzählen.

LXXII
    Congrio war auf einen Kulissenfelsen geklettert, um einen besseren Überblick zu haben. »Hallo, ihr da unten! Ihr seht aber trübselig aus. Soll ich euch was Lustiges erzählen? Ich wette, den kennt ihr noch nicht.« Philocrates, immer noch auf dem Muli, blitzte ihn wütend an. Er konnte es nicht leiden, wenn mittendrin was am Ablauf geändert wurde, und das niedere Fußvolk war ihm sowieso zuwider. Congrio war nicht zu stoppen.
    »Ein römischer Tourist kommt in ein Dorf und sieht einen Bauern mit seiner schönen Schwester.«
    Ich bemerkte, daß Grumio, der das Muli gerade weiterziehen wollte, abrupt stehenblieb, als hätte er den Witz wiedererkannt. Congrio sonnte sich in der neugefundenen Macht, das Publikum in seinen Bann zu schlagen.
    »›He, Bauer! Wieviel verlangst du für eine Nacht mit deiner Schwester?‹
    ›Fünfzig Drachmen.‹
    ›Das ist doch lächerlich! Hör zu, laß mich eine Nacht mit dem Mädchen verbringen, und ich zeige dir etwas, das dich umhauen wird. Ich wette, ich kann deine Tiere zum Sprechen bringen … Wenn nicht, zahle ich dir die fünfzig Drachmen.‹
    Na, der Bauer denkt: ›Der Mann ist verrückt. Aber ich werd mal so tun, als würd ich mich darauf einlassen.‹
    Er weiß allerdings nicht, daß der Mann ein geübter Bauchredner ist.
    Der Römer denkt, dem werd ich’s zeigen. ›Laß mich mit deinem Pferd reden, Bauer. Hör mal, Pferd, bist du mit deinem Herrn zufrieden?‹
    ›Ziemlich‹, antwortet das Pferd, ›aber wenn er meine Flanken streichelt, sind seine Hände ganz schön kalt …‹«
    Während Congrios Gebrabbel konnte ich durch die Maske erkennen, daß Philocrates völlig verdattert schaute und Grumio vor Wut schäumte.
    »›Das war toll‹, bestätigt der Bauer, ist aber noch nicht vollständig überzeugt. ›Ich hätte schwören können, daß mein Pferd tatsächlich gesprochen hat. Zeig’s mir nochmal.‹
    Der Römer grinst in sich hinein. ›Dann laß es uns mal mit deinem netten Schaf hier versuchen. Hallo, Schaf! Wie ist denn dein Herr so?‹
    ›Nicht schlecht‹, sagt das Schaf, ›aber ich finde seine Hände beim Melken ziemlich kalt …‹«
    Philocrates hatte ein gequältes Lächeln aufgesetzt und fragte sich wohl, wann diese ungeahnte Tortur vorüber sein würde. Grumio stand immer noch stocksteif da, als traue er seinen Ohren nicht. Congrio war nie im Leben glücklicher gewesen.
    »›Du hast mich überzeugt‹, sagt der Bauer.
    Der Römer hat inzwischen richtig Spaß an der Sache. ›Das habe ich von Anfang an gewußt. Ich mach’s noch einmal, dann gehört deine Schwester für heute nacht mir. Hallo, Kamel. Du bist wirklich ein gutaussehendes Exemplar. Sag mir …‹
    Bevor er weitersprechen kann, springt der Bauer wütend auf. ›Hör nicht auf das Vieh! Das Kamel ist ein Lügner!‹ kreischt er.«
     
    Und noch jemand sprang auf.
    Mit einem Wutschrei stürzte sich Grumio auf Congrio. »Wer hat sie dir gegeben?« Er meinte die Schriftrolle mit den Witzen. Helena mußte sie Congrio geliehen haben.
    »Die gehört mir!« Der Wandschreiber machte sich über Grumio lustig. Er sprang vom Felsen und hüpfte über die Bühne, knapp außer Reichweite. »Ich hab sie, und ich geb sie nicht wieder her!«
    Jetzt war rasches Handeln gefordert. Immer noch im Geisterkostüm, begab ich mich in den Ring. In der vergeblichen Hoffnung, das Publikum möge meinen Auftritt für zur Handlung gehörig halten, fuchtelte ich mit den Armen, hoppelte in großen Sprüngen auf die anderen zu und tat so, als sei ich Moschions väterliches Gespenst.
    Grumio wußte, daß das Spiel aus war. Er wandte sich von Congrio ab, packte mit einer plötzlichen Drehung Philocrates an seinem
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