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Letzter Akt in Palmyra

Titel: Letzter Akt in Palmyra
Autoren: Lindsey Davis
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schaute sich wild um. Nur ein einziges weibliches Wesen in unserem Kreis hatte das richtige Alter: Byrria. Hysterisch packte sie die junge Schauspielerin am Arm. »Wir haben dich in Italien engagiert. Wo bist du aufgewachsen?«
    »Latium.« Byrria blieb gelassen, schaute aber etwas verwundert.
    »Außerhalb von Rom? Kennst du deine Eltern?«
    »Ich bin Waise.«
    »Kennst du Thalia?«
    Ich sah, wie Thalia Byrria zuzwinkerte. »Natürlich«, sagte Thalia ruhig, »habe ich Ihrer Tochter nie erzählt, daß ihre Mutter eine berühmte Schauspielerin ist. Man will den Mädchen doch keinen Floh ins Ohr setzen.«
    Phrygia warf die Arme um Byrria und brach in Tränen aus.
    Thalia warf mir einen Blick zu, gleichzeitig kalkulierend und verblüfft, was manche Idioten zu glauben bereit sind, wenn ihnen die eigenen Augen etwas völlig anderes beweisen sollten. Dann schnappte sie sich Davos und flüchtete mit ihm in die Arena.
    »Von jetzt an wird alles wunderbar!« schluchzte Phrygia an Byrrias Schulter. Byrria verzog zweifelnd das Gesicht, ganz die undankbare Tochter, die ihr eigenes Leben führen will.
    Helena und ich wechselten rasch einen Blick. Wir konnten sehen, wie die junge Schauspielerin überlegte, was sie tun sollte, und ihr schließlich ihr erstaunliches Glück zu Bewußtsein kam. Sophrona hatte draußen in der Arena keine Ahnung, daß sie gerade als Tochter entthront worden war; ihr blieben sowieso genug Alternativen. Über Byrrias Entschlossenheit, sich einen Platz in der Welt zu sichern, hatte es nie Zweifel gegeben. Sie wollte Karriere machen. Wenn sie bei Phrygias Irrglauben mitmachte, konnte sie nicht nur gute Rollen verlangen, sondern würde zweifellos früher oder später auch die Leitung der Truppe übernehmen. Sie würde das prima machen, fand ich. Einzelgänger können für gewöhnlich gut organisieren.
    Was Chremes uns über den Tod des Theaters gesagt hatte, zählte vermutlich nicht. Er war verzweifelt gewesen. Für Unterhaltungskünstler gab es immer noch ein weites Betätigungsfeld, in den Provinzen bestimmt und sogar in Italien, wenn sie sich den Gegebenheiten anpaßten. Byrria mußte klar sein, daß ihr die Chance ihres Lebens geboten wurde.
    Chremes, der offenbar mehr Zeit brauchte, als seine Frau, um sich über seine Position klarzuwerden, schenkte Byrria ein verlegenes Lächeln und führte Phrygia zum größten Teil unserer Truppe, der am Eingang zum Amphitheater zusammengeströmt war. Alle warteten begierig darauf, Sophronas Fingerfertigkeit auf dem legendären Instrument zu hören. Byrria blieb mit Musa, Helena und mir zurück. Insgesamt gesehen hielt ich Chremes’ Lage für gut. Wenn er nicht aufmuckte, konnte er seine Frau behalten, der Förderer einer beliebten und wunderschönen jungen Schauspielerin werden, und zu Hause vermutlich endlich Frieden finden.
    Davos, dachte ich, würde die Truppe wohl bald verlassen.
    Wenn Davos sich Thalia anschloß, war es möglich, daß Sophrona zwar eine Mutter verloren, aber hier und heute einen Vater gewonnen hatte.
     
    Ich rappelte mich hoch. »Ich bin kein großer Freund lauter Musik.« Besonders nicht nach dem nervenaufreibenden Erlebnis von vorhin. »Laßt euch durch mich nicht den Spaß verderben, aber wenn’s euch nichts ausmacht, dann verzieh ich mich.« Alle beschlossen, mit mir zurück ins Lager zu kommen.
    Wir verließen das Theater. Helena und ich hielten uns beim Gehen eng umschlungen und waren traurig, ja, nachdenklich. Musa und Byrria gingen wie üblich sehr aufrecht und mit ernsten Gesichtern schweigend nebeneinander und hielten noch nicht mal Händchen.
    Was wohl aus ihnen werden würde? Hoffentlich würden sie ein ruhiges Eckchen finden und sich einig werden. Da es das war, was ich getan hätte, wünschte ich mir, sie würden zusammen ins Bett gehen.
    Doch ich bezweifelte, daß das geschehen würde. Ich wußte, Helena teilte mein melancholisches Gefühl; wir hatten es hier mit einer Beziehung zu tun, die nicht Zustandekommen würde.
    Musa würde nach Petra zurückkehren; Byrria würde eine bekannte Schauspielerin des römischen Theaters werden. Und doch waren sie offensichtlich Freunde. Vielleicht würde sie Musa schreiben, und er ihr. Vielleicht sollte ich das unterstützen: zumindest eine Verbindung, die die nabatäische Eingliederung ins Römische Reich erleichtern konnte. Kulturelle Kontakte und private Freundschaften, die Bande knüpfen: der alte diplomatische Mythos. Falls er seinen Drang, eine Menagerie zu leiten, überwinden
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