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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River
Autoren: John Irving
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lieber Baked Beans und Erbsensuppe statt Pasta?«, fragte der Koch seinen alten Freund.
    »Dein Dad ist ein empfindliches Kerlchen, stimmt's?«, meinte Ketchum dann zu Danny und zwinkerte erneut. »Heiliger Dünnschiss!«, hatte Ketchum mehr als einmal zu Dominic gesagt. »Du bist vielleicht empfindlich!«
     
    Jetzt war wieder Schlammperiode, und der Fluss führte Hochwasser. Eine große Wassermenge war durch eins der Schleusentore gekommen - Ketchum nannte das »Flutwasser«, wahrscheinlich aus dem Schleusentor an der Ostseite des Little Dummer Pond -, und ein unerfahrener Junge aus Toronto, den sie kaum gekannt hatten, war mit weggeschwemmt worden.
    Nur noch kurze Zeit würden die Holzfäller das Wasservolumen im Twisted River erhöhen. Zu diesem Zweck hatten sie an den Flüsschen, die in die Haupttriftgewässer mündeten, Staudämme gebaut. Die Schleusen wurden im Frühjahr geöffnet, so dass eine Unmenge Wasser das Triften erleichterte. In diesen Flüsschen (und an deren Ufern) stapelte sich während des Winters das Faserholz und wurde dann mit dem von den Dämmen gestauten Wasser in den Twisted River geschleust. Wenn das kurz nach der Schneeschmelze geschah, war die Strömung schnell, und die rasch dahintreibenden Baumstämme bohrten sich in die Flussufer.
    Der Koch fand, der Twisted River besitze nicht genug Biegungen, um seinen Namen - Gewundener Fluss - zu verdienen. Der Fluss schoss aus den Bergen geradeaus talwärts, er hatte nur zwei Biegungen. Doch für die Flößer, besonders für die alten Hasen, denen der Fluss seinen Namen verdankte, waren diese beiden Biegungen schlimm genug, denn sie verursachten jedes Frühjahr einige üble Holzstaus - vor allem oberhalb des Beckens in der Nähe der Dummer-Teiche. An beiden Flussbiegungen mussten die Stämme meist von Hand losgestochert werden; an der oberen Biegung, wo die Strömung am stärksten war, hätte man keinen so Unerfahrenen wie Angel auf den Holzstau losgelassen.
    Doch Angel war im Becken untergegangen, wo der Fluss relativ ruhig war. Die treibenden Stämme wühlten das Wasser zwar auf, aber die Strömung war eher mäßig. Und an beiden Biegungen löste man die größeren Staus zu Dominic Baciagalupos Leidwesen mit Dynamit auf. Die Sprengungen brachten die Töpfe, Pfannen und anderen aufgehängten Utensilien seiner Küche durcheinander; im Speisesaal rutschten die Zuckerdosen und Ketchup-Flaschen von den Tischen. »Dein Dad mag kein Geschichtenerzähler sein, Danny, aber Dynamitfan ist er ganz gewiss nicht«, so hatte es Ketchum dem Jungen gegenüber formuliert.
    Vom Flussbecken unterhalb der Ortschaft Twisted River floss das Wasser bis in den Androscoggin River. Neben dem Connecticut waren der Ammonoosuc und der Androscoggin die großen Triftgewässer im Norden New Hampshires. Alle diese Flüsse waren erwiesenermaßen mörderisch.
    Doch in dem relativ kurzen Flussabschnitt zwischen dem Little Dummer Pond und dem Ort Twisted River, wo es Stromschnellen gab, waren schon einige Flößer ertrunken oder zerquetscht worden - und auch in dem breiten Flussbecken. Angel Pope war weder der Erste, noch würde der junge Kanadier der Letzte bleiben.
    Und selbst in den notdürftig zusammengezimmerten Siedlungen Twisted River und Paris waren etliche Sägewerksarbeiter verstümmelt oder sogar getötet worden - gar nicht wenige leider bei Schlägereien, die sie sich in gewissen Kneipen mit den Holzfällern lieferten. Es herrschte Frauenmangel - deswegen die Schlägereien; Ketchum allerdings behauptete steif und fest, es herrsche Kneipenmangel. In Paris gab es jedenfalls überhaupt keine Kneipe, und nur verheiratete Frauen wohnten dort.
    Ketchum zufolge waren es diese beiden Faktoren, welche die Männer aus Paris fast allabendlich auf die Holzabfuhrstraße nach Twisted River trieben. »Man hätte nie eine Brücke über den Phillips Brook bauen dürfen«, behauptete Ketchum außerdem.
    »Siehst du, Daniel«, sagte der Koch, »Ketchum hat wieder einmal nachgewiesen, dass uns der Fortschritt irgendwann alle umbringen wird.«
    »Aber dieses ganze katholische Zeug bringt uns noch vorher um, Danny«, widersprach Ketchum. »Italiener sind Katholiken, und dein Dad ist italienischer Abstammung - und du folglich auch, obwohl weder du noch dein Dad in eurem Denken besonders italienisch seid, und auch nicht besonders katholisch. Ich meine vor allem die Frankokanadier, die beispielsweise so viele Kinder haben, dass sie sie manchmal durchnummerieren, statt ihnen Namen zu
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