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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River
Autoren: John Irving
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Sohn kannte die fatalistischen Ansichten seines Vaters über die Fehlbarkeit des Menschen im Allgemeinen und jugendlichen Leichtsinn im Besonderen zur Genüge. »Er war zu unerfahren, um bei einer Trift mitzumachen«, stellte der Koch fest, als wäre damit alles gesagt.
    Danny Baciagalupo wusste, wofür alles Angel oder jeder andere Teenager nach Dominics Ansicht zu unerfahren war. Der Koch hätte Angel auch ungern in der Nähe eines Fällhebers gesehen. (Der wichtigste Teil des Fällhebers war der mit einem Scharnier befestigte Wendehaken, mit dem man selbst schwere Baumstämme von Hand bewegen konnte.)
    Laut Ketchum waren die »alten Zeiten« gefährlicher gewesen: Zum Beispiel sei es riskant gewesen, im Winter das Holz mit Pferdeschlitten aus den Wäldern zu ziehen. Vor nicht allzu langer Zeit stiefelten die Holzfäller in die Berge hinauf, fällten die Bäume und zogen sie mit Pferden aus den Wäldern, einen Stamm nach dem anderen. Auf reifenlosen, schlittenartigen Wagen zogen sie dann das Rundholz über den gefrorenen Schnee, den nicht einmal Pferdehufe durchbrachen, weil die Spurrillen der Schlitten auf den Holzwegen nachts immer vereisten. Bis die Schneeschmelze und die Schlammperiode kamen und die gesamte Arbeit in den Wäldern zum Erliegen brachten.
    Doch selbst das änderte sich. Dank der neuen Forstmaschinen, die im Schlamm eingesetzt und mit denen die Stämme über weite Strecken bis zu besseren, winterfesten Straßen transportiert werden konnten, war die Schlammperiode immer weniger ein Problem - und die Pferde mussten Raupenschleppern weichen.
    Mit den Bulldozern konnten neuerdings Zufahrten bis zum Fällplatz angelegt und das Holz per Lastwagen direkt zu einer zentraler gelegenen Abladestelle an einem Fluss, Teich oder See abtransportiert werden. Nicht mehr lange, und der Transport auf Straßen würde die Flößerei überflüssig machen. Vorbei die Zeiten, als man Seilwinden dazu benutzte, Pferde vorsichtig die steileren Hänge hinunterzulassen. »Die Arbeiter konnten auf dem Hintern runterrutschen«, hatte Ketchum dem kleinen Dan erzählt. (Ketchum hielt große Stücke auf Ochsen, die im tiefen Schnee sehr standfest waren, doch Ochsen hatten sich nie durchgesetzt.)
    Auch der Holzabtransport auf Schienen war Geschichte. Er endete 1948 im Pemigewasset Valley, im selben Jahr, als einer von Ketchums Cousins bei der Papiermühle von Livermore Falls unter eine Shay-Lokomotive kam - ein 50-Tonnen-Ungetüm, mit dem die letzten Schienen aus dem Wald geschafft wurden. In den 1950er Jahren dienten die ehemaligen Schienenbetten den Lkws als stabile Holzabfuhrstraßen, allerdings konnte sich Ketchum noch an einen Mord auf der Beebe-River-Eisenbahn erinnern -»seinerzeit«, als er noch einen mit erstklassigen Fichtenstämmen beladenen vierspännigen Schlitten lenkte. Ketchum war damals auch noch Kutscher einer frühen Lombard-Dampflok gewesen, die von einem Pferd gezogen wurde. Das Pferd bewegte die vorderen Schlittenkufen, und der Kutscher saß vorn auf dem Holzanhänger; bei späteren Modellen wurden Pferd und Kutscher durch einen Steuermann an einem Lenkrad ersetzt. Wie Danny Baciagalupo wusste, war Ketchum auch Steuermann gewesen - anscheinend hatte Ketchum alles gemacht.
    Auf den alten Lombard-Fahrwegen um Twisted River herum fahren inzwischen Lkws, allerdings stehen in der Gegend immer noch ein paar zurückgelassene Lombard-Wracks herum. (Eins steht immer noch aufrecht in Twisted River, ein anderes liegt, auf die Seite gekippt, in einem Holzfällercamp namens West Dummer - oder neuerdings Paris, nach der Paris Manufacturing Company in Paris, Maine.)
    Der Phillips Brook fließt nach Paris und in den Ammonoosuc River, der seinerseits in den Connecticut River mündet. Die Flößer transportierten auf diesem Flüsschen Hartholzstämme bis nach Paris, und auch etwas Faserholz. Das Sägewerk in Paris verarbeitete ausschließlich Hartholz - die Firma aus Maine stellte Toboggans her, traditionelle indianische, kufenlose Schlitten -, und in dem Holzfällercamp mit seinem dampfbetriebenen Sägewerk war der ehemalige Pferdestall inzwischen in eine Maschinenwerkstatt umgebaut worden. Daneben standen auch das Haus des Werksleiters sowie eine Schlafbaracke für 75 Mann und eine Kantine, außerdem gab es ein paar einfache Familienunterkünfte - von einem voller Optimismus angelegten Apfelgarten und einem Schulgebäude ganz zu schweigen. Dass es in der Ortschaft Twisted River weder eine Schule gab, noch jemand optimistisch
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