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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River
Autoren: John Irving
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Alkoholiker in Erinnerung, der wiederholt über Dominics Mom herzog. (Selbst nach Dominic Baciagalupos Unfall nahm dessen verschwundener Vater nie Kontakt zu ihm auf, und »Onkel« Umberto erwies sich kein einziges Mal als Freund der Familie.)
    Auf dem Rundholzplatz hatte eine Ladung Hartholzstämme gelegen, hauptsächlich Ahorn und Birke. Der junge Dominic rollte gerade mit Hilfe eines Fällhebers die Stämme in das Werk, als plötzlich etliche gleichzeitig losrollten - er konnte ihnen nicht mehr ausweichen. 1936 war er erst zwölf; den Fällheber bediente er mit verwegener Selbstsicherheit. Dominic war damals genauso alt gewesen wie sein Sohn jetzt. Nie würde der Koch seinem geliebten Daniel erlauben, einen Rundholzplatz zu betreten, selbst dann nicht, wenn der Junge einen Fällheber rechts- und linkshändig bedienen könnte. Als Dominic damals von den rollenden Stämmen zu Boden geschleudert wurde, bohrte sich der Wendehaken seines Fällhebers wie ein Angelhaken in seinen linken Oberschenkel und sein linker Fußknöchel wurde seitlich weggedrückt und vom Gewicht des Holzes zerquetscht. Die Blutung aus der Fällheberwunde war nicht lebensgefährlich, doch damals konnte man leicht an einer Blutvergiftung sterben. Auch hätte er später wegen der Knöchelverletzung an einer Gangrän (damals noch Wundbrand genannt) sterben können oder - das war wahrscheinlicher - den linken Fuß, wenn nicht das ganze Bein, amputieren lassen müssen.
    1936 gab es im Coos County keine Röntgengeräte. Einen zerschmetterten Knöchel zusammenzuflicken fiel den medizinischen Experten in Berlin nicht ein; in solchen Fällen empfahl sich ein kleiner oder gar kein chirurgischer Eingriff. Bei so einem Unfall hieß es abwarten: Entweder waren die Blutgefäße platt gequetscht, was eine Durchblutungsstörung zur Folge hätte - dann würden die Arzte den Fuß amputieren müssen -, oder die gebrochenen und verschobenen Knöchelfragmente würden krumm und schief zusammenwachsen und irgendwie heilen und Dominic Baciagalupo würde zeitlebens hinken und Schmerzen haben (wie es dann auch kam).
    Es gab auch noch die Narbe vom Haken des Fällhebers, die der Bisswunde eines seltsamen kleinen Tieres glich, eines Tieres mit einem einzigen gebogenen Zahn und einem Maul, das nicht groß genug gewesen war, um den Schenkel des Zwölfjährigen zu umschließen. Und ehe der Koch einen Schritt machte, zeigte sein linker Fuß scharf nach links. Seither fiel den Leuten, noch bevor sie Dominic hinken sahen, zuerst der missgestaltete Knöchel und die Fehlstellung des Fußes auf.
    Eins war klar: Dominic würde nie Holzfäller werden. Bei dieser Arbeit musste man sein Gleichgewicht halten. Und der Unfall war in einem Sägewerk passiert - ganz abgesehen davon, dass der Trunkenbold und »Freund« seines durchgebrannten Vaters dort Vorarbeiter war. Nein, Dominic Baciagalupos Zukunft lag auch nicht in einem Sägewerk.
    »He, Baciagalupo!«, hatte ihm Onkel Umberto oft zugerufen.
    »Du magst einen neapolitanischen Namen haben, aber du hängst rum wie ein Sizilianer.«
    »Ich
bin
Sizilianer«, erwiderte Dominic dann pflichtschuldig. Seine Mutter schien darauf ungemein stolz zu sein, dachte der Junge.
    »Tja, aber dein
Name
ist
napolitano«,
entgegnete Umberto.
    »Nach meinem Vater, nehme ich an«, mutmaßte der junge Dominic.
    »Dein Dad war kein Baciagalupo«, teilte ihm Onkel Umberto mit. »Frag Nunzi, woher dein Name stammt - schließlich hat
sie
ihn dir gegeben.«
    Dem Zwölfjährigen passte es gar nicht, wenn Umberto, der Dominics Mutter offenkundig nicht mochte, sie »Nunzi« nannte - eine Koseform von Annunziata. Aus Umbertos Mund klang es überhaupt nicht zärtlich. (In einem Theaterstück oder einem Film hätte das Publikum Umberto problemlos als Nebenfigur identifiziert, doch die beste Besetzung für die Rolle des Umberto wäre ein Schauspieler, der überzeugt ist, eine Hauptrolle zu spielen.)
    »Und du bist wohl auch nicht mein richtiger Onkel?«, hatte Dominic von Umberto wissen wollen.
    »Frag deine Mama«, antwortete der. »Wenn sie gewollt hätte, dass du
siciliano
bleibst, hätte sie dir
ihren
Namen geben sollen.«
    Der Mädchenname seiner Mutter war Saetta, worauf sie ebenfalls sehr stolz war, genau wie auf alle Saettas, von denen Dominic sie je hatte erzählen hören, wenn sie über ihre Abstammung sprach.
    Über Dominics Abstammung sprach Annunziata nur äußerst ungern. Das wenige, was der Junge wusste, hatte er eher schlecht als recht aus Informations-
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