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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz
Autoren: Marcia Muller
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Einrichtung —
ein schlanker Mann mit feinen Gesichtszügen und einem hübschen Kinnbart.
Kürzlich hatte er beschlossen, über seinen modisch zerknitterten Hemden
Brokatwesten zu tragen. Selten täuscht einen die äußere Erscheinung mehr als
bei Ted: Hinter seinem geckenhaften Outfit schlägt das Herz eines Experten für
rationelle Arbeitsweise.
    »Diese Bruchbude zu kaufen, war ein
schwerer Fehler«, sagte er.
    Vom rein praktischen Standpunkt aus gab
ich ihm recht, aber gefühlsmäßig kam ich zu einer anderen Antwort: »Der Hausbesitzer
wollte verkaufen, so oder so. Kannst du dir vorstellen, wo wir sonst residieren
sollten?«
    »Nein, aber unsere Gesellschaft muß
einen verdammt großen Haufen Geld in dieses Gebäude stecken, nur um es am
Zusammenfallen zu hindern.« Er machte eine Pause und lauschte dem Echo seiner
Worte. »Unsere Gesellschaft. Mein Gott, ich hätte nie gedacht, daß aus unserer
Anwalts-Kooperative einmal eine eingetragene Gesellschaft würde, die All Souls
Legal Cooperative, Inc. Wie ist das nur passiert?«
    »Wir hatten Erfolg.«
    Zu einer Zeit, da überall sonst im
Lande die Anwaltskanzleien Personal einsparten und die Gebühren erhöhten,
expandierte All Souls und hielt gleichzeitig die Honorare auf dem alten Stand.
Während Kollegen in ihren stickigen Büros in der Innenstadt die geschwundene
Exklusivität ihres Berufs beklagten, weil das Anwaltsein jetzt wie ein Geschäft
betrieben werde, hatte All Souls sein Angebot an Dienstleistungen dynamisch
erweitert, um Mandanten zu gewinnen. Wer Mitglied wurde, zahlte ein nach dem
Einkommen gestaffeltes Honorar und konnte sich bei kleineren Problemen über
eine 800er Nummer Rat bei einem Rechtsbeistand holen. Außerdem hatten wir
unsere Angebotspalette auch mit Erfolg größeren Arbeitgebern in der Stadt
schmackhaft gemacht. Einige hatten uns nun in ihrem Leistungspaket für ihre
Angestellten.
    Erfolg bedingt Veränderungen, und so
kam es zu unserem etwas dubiosen Schritt auf den Immobilienmarkt. Unser
viktorianisches Haus, in dem es neben den Büros auch noch Wohnungen für einige
aus unserem Stab gab, bot bald nicht mehr genug Raum für all die Arbeit. Also
mieteten wir ein zweites Gebäude gleich gegenüber auf der anderen Seite der
dreieckigen Grünfläche, und inzwischen verhandelten wir schon über die
Anmietung des nächsten. Um unser erfolgreiches Image nach außen zu
dokumentieren, wurde jetzt unser vor kurzem zugekauftes Hauptquartier
aufgemöbelt. Angeblich sollte es blaßgrau gestrichen werden mit schwarzen und
weißen Zierstreifen — beziehungsweise, wenn man dem Anstreicher glauben konnte,
in einer Farbe, die ihn an den Inhalt von Babywindeln erinnerte.
    Ich blinzelte Ted zu, ging nach oben in
mein Büro und dachte über die Veränderungen nach. Als ich hier angefangen
hatte, wohnten fast alle Mitarbeiter mietfrei in diesem Haus, weil die
Einkünfte selbst trostlos waren. Jetzt wohnten nur noch Rae, Ted, Jack Stuart,
dann unser Experte für Handel und Gewerbe, Larry Koslowski, und Steueranwältin
Pam Ogata unter diesem Dach. Ihre Gehälter hatten mit denen anderer Firmen
gleichgezogen, und sie zahlten eine angemessene Miete. Früher hatte ich jeden,
der bei uns arbeitete, recht gut gekannt. Doch wenn ich mich jetzt nach drüben
ins neue Gebäude wagte, konnte es passieren, daß ich kleinere Angestellte
überhaupt nicht kannte. Schließlich war Ted früher unser einziger Sekretär
gewesen. Jetzt trug er den Titel »Bürovorsteher«. Und Hank Zahn hörte man
klagen, er vertrödelte mehr Zeit auf Dienstbesprechungen, als er für die
Beratung von Klienten oder Gerichtstermine übrig habe.
    Aber die wichtigen Dinge, rief ich mir in
Erinnerung, hatten sich nicht geändert. Wir waren immer noch eine junge,
tatendurstige Firma, die sich mehr um ihre Mandanten kümmerte als um ihren
Profit. Und es war immer noch unser Prinzip, Angehörigen der unteren und
mittleren Einkommensklassen eine für sie noch erschwingliche hochqualifizierte
Rechtsvertretung zu bieten. Und ebenso trafen sich die meisten von uns immer am
Freitagnachmittag zur Happy Hour in der großen Küche im rückwärtigen Teil des
Hauses. Oft wurden Mahlzeiten für zwei und auch für zwanzig Personen in
Windeseile herbeigezaubert. Eine gute Poker- oder Rommérunde fand sich immer
zusammen, am Tag oder abends. Ein mitfühlendes Wort, ein Schulterklopfen oder
einfach nur nett zusammensitzen, das gehörte dazu. Und wenn viele von uns auch Zugaben,
sich an schlechten Tagen auch mal
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