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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse
Autoren: Walter Kempowski
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empfehlen. Er hatte keine Lust, sich die Vermögensverhältnisse des Schriftstellers anzuhören, die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen, zumal er wußte, daß dieser mildernde Umstände geltend machen würde, wenn es um die Anwaltsgebühren ginge.
    Sowtschick seinerseits hätte sich über sein Vermögen ganz gern mal behaglich verbreitet, das Haus, das Grundstück, die Münzsammlung und die Teppiche seiner Frau. Er sah davon ab, weil er einen Anflug von Ungeduld bei seinem Rechtsanwaltsfreund beobachtete.
     
    Die Kinder würden alles erben, das war klar, Schitti und Klößchen. Letzterer würde etwas mehr zuzusprechen sein, weil sie als Graphikerin immer noch nicht so recht Fuß gefaßt hatte in dieser kalten Welt. Und Schitti mit seiner gutgehenden Praxis in Stuttgart würde Verständnis haben dafür, daß seine Schwester etwas reichlicher bedacht wird. Oder? Vielleicht nicht? Da keimte dann womöglich Zwietracht auf? Über Erbschaften war schon so manche Familie zerbrochen. Vielleicht würde es eines Tages zu Verfluchungen kommen, nur weil man die Erbschaftsdinge nicht klar formuliert hatte. Vasen zu Boden geschleudert und dergleichen emphatische Auftritte; auf der Straße zur Seite gucken, wenn man der Sippe begegnet, und auch die Nachkommen tragen daran schwer.
     
    Die Papiere wurden ausgefertigt - ändern kann man sie ja immer noch.
    Zum Schluß wurde noch erörtert, wie man unter die Erde kommen möchte, verbrennen oder Erdbestattung? Für das erstere sprach, daß es ohne Pastor abginge, denn Sowtschick war schon seit Jahren nicht mehr Angehöriger der Amtskirche. Erdbestattung? Eingezwängt zwischen sechs Bretter und dann hinabgelassen? Der Gedanke, in eine Grube hinabgelassen zu werden, machte ihm nicht zu schaffen, aber die Aufbahrung in der Friedhofskapelle! Schrecklich! Kalte Tage und lange Nächte, in ein Regal geschoben auf die letzte Vorstellung warten! - Totenwache! Falls Marianne vor ihm stürbe, würde er die letzten Stunden an ihrer Seite verbringen und sie immerfort an schöne Zeiten erinnern.«Weißt du noch?»Und sie würde doch gewiss dasselbe tun. Aber danach?
    Er sah sich nicht in Frack oder Smoking im Sarg liegen, sondern in seinem weinroten Schlafrock, die Hände gefaltet, brennende Kerzen um ihn her. Aber es war nicht Marianne, die bei ihm saß, er sah junge, gut gewachsene Menschenkinder, blond, und er sah sie lachen!
    Man sollte ihn nicht in der Friedhofskapelle abstellen, in ein Regal schieben, dafür mußte gesorgt werden, sondern im Haus aufbahren, im Studio, wo er seine Bücher geschrieben hatte.«Kaum einen Finger breit»und«Herzschlag in Andante»dort, wo jetzt die ersten Seiten des neuen Romans lagen, kastenartig aufgestoßen zu einem kleinen weißen Papierblock. Und gut gewachsene blonde Menschenkinder müßten Wache halten.
     
    Zum Schluß erfuhr Sowtschick noch, daß Mergenthaler, den er einen Dünnbrettbohrer genannt hatte, jüdisch«versippt»sei, das habe sich jetzt herausgestellt, eine Entdeckung, die in die Sache eine unangenehme Wendung bringen würde. Die Invektive «Dünnbrettbohrer»würde nun in einem gefährlicheren Licht erscheinen. Am besten sofort entschuldigen in aller Form? Das käme nicht in Frage, sagte der Anwalt, irgendwo müsse man auch Rückgrat zeigen, und wandte sich wieder seinem Doppelmörder zu, von dem wohl kein Foto an die Wand gehängt werden würde eines Tages.
     
    Zu Hause holte Sowtschick die Aufstellung seines Vermögens behaglich nach: In Gegenwart seiner Frau füllte er Blatt um Blatt mit Zahlen, und Marianne leckte sich die Lippen.
    Die großen Afghanen und die Belutsche würde man am besten durchnumerieren und dann unter den Kindern auslosen. Ebenso die verschiedenen Gemälde, die sich im Lauf der Jahre angefunden hatten, der Schafbock überm Sofa zum Beispiel und die Winterlandschaft im Schwimmgang. Zu vertrauten Hausgenossen waren die Bilder geworden, lustig damals, wie Phylax das Schaf anbellte (nun schon so lange tot) … Die Vorstellung, daß die Bilder nach Sowtschicks Ableben in Bausch und Bogen an einen Händler gingen, der sie dann brutal unter den Hammer nähme, wäre bitter. Nun, davon war ja erst mal nicht die Rede.
    Den Schafbock könnte der Junge ja ins Wartezimmer hängen, dort würde er sich gut machen.
     
    In Kreuzthal, wo er sich einen Adapter besorgte für seinen Rasierapparat - das hatte ihm von Dornhagen noch geraten, deutsche Stecker paßten drüben ja in keine Dose -, kaufte er auch gleich noch
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