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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse
Autoren: Walter Kempowski
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ein Teleobjektiv für seine Kamera. Eigentlich hatte er gehofft, Hessenberg, der Verleger, würde es ihm schenken. Der letzte Geburtstag wäre doch weiß Gott ein Anlaß gewesen für ein solches Geschenk? Er hatte es durchblicken lassen, mehr als einmal. Aber Hessenberg erwies sich als harthörig. Der wartete wohl auf den Siebzigsten, der war ja nicht mehr fern.
    Auch zum Zahnarzt gehen, alles noch mal nachsehen lassen, links oben rührte sich was. Man brauchte sich ja nicht gerade auf Verdacht sechs Zähne ziehen zu lassen. Und ja nicht den Blinddarm rausnehmen prophylaktisch, so was konnte auch schiefgehen! Das war Vetter Christian so gegangen, der in die Urwälder Indonesiens hatte reisen wollen und sich vorsorglich den Wurmfortsatz rausschneiden ließ, ein Organ, das zwar überflüssig war und sich bis dato überhaupt nicht bemerkbar gemacht hatte, dann aber jahrelang näßte. Keine Frau gekriegt, weil das ja auch irgendwie stank …
    Den Zahnarzt ließ er auf sich beruhen, aber den Hausarzt suchte er auf. Drüben ist alles gleich so furchtbar teuer, wenn mal was passiert. Er wollte zwar nicht in den Urwald gehen, und den Blinddarm hätte er sich auf keinen Fall herausnehmen lassen, aber das Blut untersuchen? Besser ist besser. Das war schon längst mal wieder fällig. - Er fuhr also zu seinem Freund, dem Hausarzt Dr. Schmauser. Und er wurde hintenrum eingelassen, am Geraune des Wartezimmers vorüber, und in ein Hinterzimmer geführt, wo alte Akten lagen. Hier war man ungestört. Dr. Schmauser nahm ihn in den Arm und blickte ihn treu an: Wo will’s noch hinkommen mit uns? - Was er zur deutschen Literatur sagt, ob die nicht langsam, aber sicher abnippelt? Ja? Als Alexander ihm antworten wollte, winkte er ab, schon gut, schon gut … Seine Frau liest im Augenblick den wie heißt er noch … Prack, ja, Prack, der ist doch immer wieder wahnsinnig gut.
     
    Eine kalte Manschette wurde ihm um den Oberarm gelegt, Luft hineingepumpt und zischend wieder freigelassen, wobei der blaue Zeiger auf dem Instrument rasch in die Höhe kletterte, dort verharrte und wieder absank. Blutdruck nicht schlecht, aber gelegentlich mal ein Tages-EKG machen.
    Der Brustkorb wurde beklopft, das Herz belauscht, der magere Zustand seines Unterleibs konstatiert, ob er denn dauernd fastet? Nein? In seinem Alter legten die Menschen entweder zu, oder sie nähmen ab, erfuhr Alexander, und er wußte nicht zu sagen, woran es bei ihm lag, daß er sich noch immer ganz gut hielt. Sein Vater war auch schlank gewesen, die Mutter sogar dürr … Konstitutionell sei er ein«juveniler Greis», sagte Schmauser und machte eine diesbezügliche Notiz in seinen Akten. Diese Leute fielen eines Tages einfach um.
     
    Von dem feurigen Horn, das ihm manchmal auf der Netzhaut erschien, sprach Sowtschick jetzt nicht, und nicht von der Unruhe in seinen Beinen, da hätte er am Ende eine ängstigende Auskunft erhalten. Auch die grauen Tücher, die ihn gelegentlich anwehten, erwähnte er nicht. Das konnte man ja immer noch tun. Daß man sich gelegentlich an einer Wand festhalten muß, das war dem Arzt auch schon passiert.
    Die stämmige Arzthelferin rammte ihm zur Blutabnahme die Kanüle in die Armbeuge, zog sie wieder heraus - häch! - und rammte sie erneut hinein. Die Sache würde sich grün und blau verfärben, damit war zu rechnen.
    Eisenmangel war das letzte Mal festgestellt worden, nicht der Rede wert und zuviel Cholesterin, aber es ging grade noch. Und die Schilddrüse, die Schilddrüse? - Was ist denn mit der Schilddrüse los? - Nichts Schlimmes, aber auf die leichte Schulter nehmen darf man so was nicht.

3
    Ein paar Tage vor dem Abflug reiste ein Lektor an, vom energischen Verleger in Marsch gesetzt, ein ernster Herr mit goldener Brille, ganz in Schwarz, etwas zittrig - aus Angst (Sowtschick galt als schwierig) oder aus Veranlagung? Mit dem zog sich Alexander ins Studierzimmer zurück:«Karneval über Lethe», der neue Roman. - Was ist mit dem neuen Roman? - Ja, was war mit dem Roman? Obwohl hochbevorschußt - auf dem Schreibtisch lag er, bis Seite dreiundsechzig jedenfalls. Und da war erst mal Schluß gewesen.
     
    Es wurde beraten, für den Fall aller Fälle, wie man ihn notfalls würde abschließen können, wenn die Reise schiefginge, man mußte schließlich mit allem rechnen, aus Notizen und Skizzen das Fehlende ergänzen? Eine Werkausgabe mit graphischen Darstellungen und Fotos konnte ja auch ganz reizvoll sein … Sowtschick trug allerhand Mappen herbei mit
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