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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse
Autoren: Walter Kempowski
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sagte:«Okay!»Aus vollem Herzen:«Okay!»Und seine gute Laune verfinsterte sich keinesfalls, als die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung ihn barsch anbellte, sie habe damit nichts zu tun, er möge seine Zusage schriftlich abgeben. Im übrigen könne er sich damit Zeit lassen, viel Zeit.
     
    Als er noch im Iro-Weltatlas blätterte, kam ihm eine Erinnerung an die erste Reise nach Amerika. Er stieg nach oben in sein Kabinett, in die«Fluchtburg», wie er das Zimmerchen nannte, und kramte ein Foto hervor. Eine Friedhofsmauer mit einem Mädchen darauf. Das war«Freddy». Sie war zwar nur undeutlich zu erkennen, rief aber doch eine wehe Erinnerung in ihm hervor. In Santa Barbara war er ihr begegnet, vor vielen Jahren.
    Um ein verschossenes Farbfoto handelte es sich, mit umgebogenen Ecken. Er klappte seine Brieftasche auf und schob es hinein in die unterste Abteilung: Direkt über seinem Herzen würde es liegen, ein Herzschrittmacher der besonderen Art. Damals hatte er sich noch an keine Wand lehnen müssen, und es hatten ihn keine grauen Tücher angeweht.
    Damals hatte er sogar noch einen«Köpper»gewagt! Beim Arbeitsdienst gelernt und danach nie wieder praktiziert, von einem Felsen aus, ins klare Wasser, und Freddy hatte ihn gelobt dafür.
     
    Eben zog er noch Schubladen auf, um zu sehen, was vielleicht noch an Anregendem zur Verfügung stand, da hörte er Marianne vorfahren in ihrem flotten Cabrio. Sie war in Bremen gewesen und hatte wieder einmal einen kleinen Belutsch günstig erwerben können, obwohl wiederholt gesagt worden war: Nun ist es aber genug mit dem Teppichkaufen, nun wollen wir mal abstoppen die Sache, das sieht hier ja schon aus wie in einer Jurte! Alexander steckte die Brieftasche ein und ging seiner Frau, mit der er nun schon über vierzig Jahre verheiratet war - von den Hunden jubelnd begleitet -, mit Brief und Weltatlas unter dem
    Arm entgegen, was ihr gar nicht recht war, denn eigentlich hatte sie sich über den Hof ins Haus schleichen wollen und erst mal verstauen die Neuerwerbung und den Gatten vorbereiten auf den doch wohl voreiligen Kauf. Erst verstecken und dann einfach hinlegen das Dings und sehen, ob er es überhaupt merkt. Und wenn er es bemerkt, in die Hände klatschen und lachen und sagen:«Aber der liegt hier doch schon seit anderthalb Jahren!»Sie warf den kleinen braunen Teppich auf den Fußboden und stellte sich zu Alexander, wie er ihr den Atlas öffnete und in freudigem Durcheinander die Route seiner Reise erklärte, von der sie ja noch gar nichts wußte, einer Reise, die er allein würde unternehmen müssen, weil nur er eingeladen war.
     
    So beugte sie sich denn über die Ausklappkarte, auf der die USA grün und Kanada gelb abgebildet waren, und sagte:«Schön! Herrlich! Das hast du dir verdient, mein Lieber - wo du immer so fleißig bist.»
    Sie hätte nichts dagegen gehabt, ihn nach New York und San Francisco zu begleiten. Aber die Tiere! Wer sollte für die Hunde sorgen, die Hühner und die Schafe?
    «Frauchen läßt euch nicht im Stich», sagte sie und entrollte den kleinen Belutsch, den sie durchaus noch wieder zurückgeben könnte -«Was glaubst du, wie billig der war!»-, und kniete sich hin und erklärte ihrem Mann, der sich für Teppiche nicht interessierte, die Webmuster und deren kunstvolle Kombinationen, das gepunktete Zickzack und die Zitterlinien, die einen Weiher darstellen mochten, in dem sich Schilfhalme spiegelten, und Alexander sagte, das sei richtig, daß sie sich den genehmigt hätte, er stehe voll dahinter, sonst hat man ja bald gar nichts mehr vom Leben. Insgeheim hoffte er, daß die Teppichleidenschaft sich nicht ausdehnte auf beduinischen Silberschmuck, der bei demselben Händler im Fenster lag, eine Sache, die leicht ins Ekstatische ausuferte und dann um sich griffe. Auch die Erwerbung verschiedener Samoware lag auf dieser Linie, die dann eben doch nicht funktionierten, geputzt werden mußten und dauernd umkippten.
    Während sie leckere kleine Kuchen verzehrten, die Marianne aus Bremen mitgebracht und aus der fettigen Tüte in die Meißner Schale geschüttet hatte, dachte Alexander an das Mädchen Freddy im fernen Santa Barbara: Auf einer Mauer hatte sie gesessen und Eis gegessen, und nun ruhte es an seiner Brust, vom gleichmäßigen Pochen seines Herzens belebt. Sie hatte ihm zugelacht damals, als er den Köpper ins klare Wasser wagte, den letzten Köpper seines Lebens, und er hatte dieses Lachen nicht eingelöst, was noch immer an ihm
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