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Letzte Beichte

Letzte Beichte

Titel: Letzte Beichte
Autoren: Helen FitzGerald
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Weihnachtsbaumes verbunden waren. Er versuchte, seine Hände zu bewegen, aber es ging nicht: Mehr als zehn Meter extrastarker Wäscheleine schnürten ihn vom Hals bis zu den Zehen ein und waren in der Holzwand neben dem Gipskarton befestigt. Chas wand sich und schrie einen gedämpften Schrei durch den Stoff, der seinen Mund bedeckte. Er würde sterben.
    Jeremy warf einen prüfenden Blick auf das Ergebnis seiner Arbeit, lächelte und schrieb »Porträt des Künstlers als toter Mann« unten rechts auf den Gipskarton. Er war sehr zufrieden mit seinem Werk.
    »Wenn du glaubst, dass du sie mit deinen Malerhändchen von mir fernhalten kannst, dann irrst du dich«, sagte er lächelnd.
    Chas spürte kaltes, gezacktes Metall, das sich gegen seine Hand presste. Entsetzt hörte er, wie der Motor der schnurlosen Stichsäge ächzend zum Leben erwachte.

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56
    Früher einmal war Jeremy ziemlich nett gewesen. Als er zwei Jahre alt gewesen war, hatte er seine Mutter umarmt, und sie hatte gesagt, er sei ihr bester Junge, und er hatte gesagt, sie sei sein bestes Mädchen und niemand könne sie je auseinanderreißen. Als er drei Jahre alt gewesen war, hatte sie ihm Kartoffelbrei mit Würstchen und Tomatenketchup gemacht, und er hatte gesagt: Danke, mein bestes Mädchen, und sie hatte zurückgelächelt. Und als er vier Jahre alt gewesen war, hatte er ihr mit Bella zu helfen versucht. Auch damals war er irgendwie nett gewesen. Er hatte bloß helfen wollen.
    Danach war er nicht mehr so nett. Nachdem sein Vater ihn im Stich gelassen hatte. Nachdem seine Mutter aufgehört hatte, ihn zu lieben, und außerstande gewesen war, ihn zu berühren oder anzusehen oder zu erziehen oder zu unterstützen. Jahr für Jahr wurde er ein bisschen weniger nett, und einmal wurde er so wütend, dass er Katie, sein Kätzchen, bis zum Hals hinter dem Tennisplatz vergraben und mit dem Rasenmäher überfahren hatte. Später, im zweiten Jahr seines Literaturstudiums, hatte es ein Mädchen gegeben, das Flaubert wichtiger fand als ihn. Und dann war da die Sache mit dem neuen Lieblingsschüler seiner thailändischen Kochlehrerin gewesen – Russell, mit dem sich ganz wunderbare Currybällchen machen ließen (vor und nach seinem Tod). Es war nicht oft vorgekommen, weil er großen Gefühlen aus dem Weg ging und sich ganz auf seine beruflichen Erfolge konzentrierte: Leute einstellen und kündigen, Profit machen, erfolgreich und fleißig sein, Immobilien kaufen. Dann hatte er Amanda getroffen, und alles schien von vorn zu beginnen.

    Sie hatte sich ihm quasi angeboten: allein, vierhundert Meilen von zu Hause entfernt. Natürlich reichten seine Gefühle für sie nicht annähernd an die Liebe zu seiner Mutter heran – das hatte niemand jemals geschafft –, aber sie war die Seine, und er war der Ihre.
    Er war der Ihre, nachdem seine Mutter sich durch den Hintereingang des Krankenhauses verdrückt hatte (sie war schon gerannt, während sie noch das Taxi heranwinkte). Er war der Ihre, als sie in die Flitterwochen fuhren: durch die Vorstädte, über die Autobahn, durch Glasgow, vorbei an Loch Lomond, Loch Long, Loch Fyne und dem Kanal. Der Ihre, als sie das Auto vor The Lock House parkten, als er mit Blumen und Schampus zur Eingangstür schlich, und der Ihre, als er drinnen ein Geräusch hörte, das ihn abrupt stehenbleiben ließ.
    Er hatte durch das Fenster gesehen, und dann hatte er die Lilien zu Boden fallenlassen.
    Er stand die ganze Nacht lang vor dem Fenster und sah zu, wie sich die zwei Frauen auszogen und liebten. Er hatte so etwas schon oft gesehen, hatte sich dazu einen runtergeholt (während es geschah oder während er sich genüsslich daran erinnerte), aber das hier taugte nichts. Er spielte dabei keine Rolle. Das hier war Verrat. Er war schon oft verraten worden, am meisten von seiner Mutter. Er spürte, dass die Wut ihn wieder überkam. Er atmete sie ein, er nährte sie durch weiteres Zuschauen. Er sah den beiden Frauen zu, die schrien und sich wanden und liebkosten. Er sah zu, wie Amanda aufwachte und sich anzog und mit dem Mietwagen davonfuhr.
    Dann betrat er ihr Flitterwochendomizil, ging leise ins Schlafzimmer und sagte: »Du musst Bridget sein.«
    Sie bedeckte sich.
    Er kam lächelnd auf sie zu.
    Sie versuchte, das Bett zu verlassen.
    Er stach ihr in den Bauch.
    Sie schrie.
    Er stach ihr in den Bauch.
    Sie schluchzte.

    Er fesselte sie.
    Sie wimmerte.
    Er setzte das Messer an und schnitt.
    Sie tropfte.
    Er zerrte.
    Sie verlor das Bewusstsein.
    Er
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