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Lesereise Rom

Lesereise Rom

Titel: Lesereise Rom
Autoren: Klaus Brill
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Zimmer bei schwerem Wetter die Decke nässt. Erst der krasse Notfall bringt oft die Dinge in Bewegung, und für das Gesundheitswesen gilt nicht einmal das. Regelmäßig sterben Menschen, weil sie in Krankenhäusern nicht rasch genug die rechte Aufnahme finden. Germanenwitz in Rom: Wen ruft man als Erstes an, wenn man krank wird? Die Flugplan-Auskunft.
    Aber das ist nur die eine Seite. Italien ist zugleich archaisch und modern, das Gegenbild des Schlendrians sind beispielloses Improvisationstalent und höchste Effizienz. Italien ist auch Fellini und Ferrari, und zu Rom gehört auch die Fixigkeit seiner Taxifahrer und seiner Kellner.
    Rom liegt nicht nur geografisch auf halber Strecke zwischen der Lombardei und Sizilien, gleich weit entfernt von der Strenge des Nordens wie der Trägheit des Südens. Die Römer lieben die Leichtigkeit ebenso wie die Aufregung, und niemals verweigern sie die persönliche Anteilnahme ( »Ciao, Mario!« ) am Schicksal anderer Menschen. So erlebte es ein deutsches Paar, das ein geh- und sprachbehindertes Kind hat. Die deutsche Schule in Rom nahm es nicht auf, Sonderschulen gibt es nicht in Italien, und in eine Bewahranstalt, an die sie verwiesen wurden, wollten die Eltern ihren kleinen Sohn nicht geben. Nach aufreibender Suche brachten sie ihn in eine normale italienische Grundschule, und es geschah etwas völlig Unerwartetes: Seine Mitschüler herzten und hätschelten ihn, die Lehrer kümmerten sich hingebungsvoll um ihn, der Junge blühte auf und fühlte sich pudelwohl. Und er verfiel in Traurigkeit, als er wieder in rein deutsche Umgebung kam.
    In Rom leben heißt, einzelne Menschen sehen mit ihren Vorzügen und Fehlern und die italienische Grundregel begreifen, dass die Ausnahme die Regel ist. Jährlich werden in Rom rund zwei Millionen Strafzettel wegen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung verhängt, in etwa fünfzehn Prozent der Fälle sind die Verkehrssünder Polizisten, carabinieri oder Beamte der Finanzpolizei, die in Zivilautos unterwegs sind. Sie brauchen ( »Ciao, Mario!« ) die Bußen nicht zu zahlen, auch Behinderte und Kranke werden in der Regel befreit. Die Zeitung L’Unità teilt im Lokalteil täglich nicht nur mit, wann Mond und Sonne auf- und untergehen oder wie viele Tote und Hochzeiten es tags zuvor gegeben hat, sondern auch: wie viele Strafzettel wegen falschen Parkens verteilt und wie viele Autos abgeschleppt oder mit einer Bremsbacke blockiert wurden. Das gehört in Rom dazu.
    Wer als Tourist in diese Stadt kommt, die Goethe als die Hauptstadt der Welt ansah, der sollte sich nicht grämen, wenn ihm ganz unpoetisch ein paar Bananen oder ein cappuccino zum dreifachen Preis angedreht werden. Es passiert jedem Fremden, zwei Japaner haben sogar für eine Taxifahrt vom Flughafen in die Stadt zweihundertfünfzig Euro gezahlt, das Siebenfache des normalen Preises.
    Irgendwann erlebt man dafür etwas Wunderbares. Im Bus Nummer 85 ist einmal kurz vor Mitternacht auf der Via Tuscolana ein Kontrolleur zugestiegen, um die Fahrkarten zu prüfen. Ein junger Mann, der keine hatte, brachte allerlei Gründe zur Entschuldigung vor. Da fragte der Kontrolleur in die Runde, ob jemand dem jungen Mann ein Ticket verkaufen könne. Der Jemand fand sich, der junge Mann bezahlte, entwertete den Schein im Ticketautomaten, der Kontrolleur beobachtete den Vorgang, und alle waren es zufrieden. Ciao, Mario. Ciao, Roma!

Angriff der Zentauren
Eine römische Straßenplage: die »motorini«
    Man hört, mit Schmerz im Ohr, das helle Röhren, und weiß: nun wird gleich jemand um die Ecke biegen, ein halbwüchsiger Bursche mit schwerer Sonnenbrille und wehendem Haar oder eine fesch geschminkte Dame im Kostüm, und sie werden das Verkehrsgewühl mit ihrer irren Aura von Freiheit, Abenteuer und Unverschämtheit durchsetzen. Wer im Auto unterwegs ist, sollte bremsbereit sein und alle Himmelsrichtungen im Auge behalten, denn sie kommen von überall. Sie greifen an von hinten, von links und rechts, tauchen plötzlich auf der Gegenfahrbahn auf, drängeln sich in Lücken und sammeln sich vor Ampeln, um loszufetzen wie ein Hornissenschwarm, längst ehe grünes Licht erscheint.
    Man nennt sie in Italien die Zentauren, denn Fahrzeug und Fahrer(in) treten auf als verwegene Einheit, wie die antiken Fabelwesen, deren Pferdeleib einen menschlichen Oberkörper trug. Der metropolitane Zentaur der Jetztzeit ist ein Mensch, dem ein motorbetriebenes Zweirad der Kategorie bis fünfzig Kubikzentimeter Hubraum
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