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Lesereise Rom

Lesereise Rom

Titel: Lesereise Rom
Autoren: Klaus Brill
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spaghetti aus dem Wasser, lässt sie auf die Schweinebackenstreifen gleiten, rührt um, wirft Pfeffer darüber und mischt, die Pfanne frei in der Luft haltend, das Ei darunter. »Wichtig ist, dass es nicht gebacken wird.« Schaumig hat das Ei zu bleiben, rutschen soll die carbonara , wenn der Käse draufgerieben wird. »Man muss den richtigen Augenblick finden«, ruft Anna, blickt herüber, hebt die Gabel, lacht.
    Diese Gabel: Drei lange Zinken hat sie, das ist wichtig, zweigezinkte Kochgabeln lehnt Anna ab. Und wenn der Herr Redakteur vom Linksblatt l’Unità , der da im dunklen Anzug und mit weißem Hut zur Küche hereinschaut und »Guten Tag, Königin« ruft, mit seiner Anrede nicht völlig daneben liegt, dann ist die dreigezinkte Gabel das Zepter, mit dem Königin Anna in dieser Küche im silbrigen Glanz der Stahlverkleidungen regiert. Draußen aber, über den Tischen, herrscht König Aldo, die gelbe Serviette geschultert, die Schürze vorgebunden, die Brille baumelt vor der Brust an einer Schnur.
    Einundsechzig Jahre alt sind Aldo Bravi und Anna Desideri, und seit ihrer Hochzeit vor vierzig Jahren spielt ihr Leben unter den Gewölben der Trattoria Pommidoro im touristenfernen Stadtteil San Lorenzo, der in Rom zwischen dem Hauptbahnhof und dem Zentralfriedhof liegt. Sie haben den Pommidoro, von Aldos Ahnen ererbt, zu einem Qualitätsbegriff römischer Traditionsküche gemacht. Man isst dort nicht nur ausgezeichnet zu normalen Preisen, sondern hat auch teil an einer bunt gemischten Gesellschaft, die als Netz von Freundschaften um die Wirtsfamilie geknüpft ist. Eine Schaubühne italienischer Lebensart tut sich auf an der von parkendem Blech beengten Piazza dei Sanniti – verheißungsvolles Ziel für eine Reportage-Expedition in das Innere eines Esslokals, von dem man sonst nur das Äußere und die Erzeugnisse wahrnimmt.
    Auf die Küche kommt es an, diesen Ort der unzählbaren Wiedergeburten, dessen Lebenshauch die Hitze ist. »Komm mal her«, ruft Anna und winkt. Auf dem Herd sind alle acht Gasflammen aufgedreht, vier für das ständig kochende Wasser der verschiedenen Nudelsorten, vier für die Saucen und das Fleisch. Tritt man hin zu diesem Arbeitsplatz, zuckt man zurück vor der schmerzenden Feuerglut. Anna erwehrt sich ihrer Anfechtungen, indem sie literweise Wasser trinkt und öfters einen scherzhaft abgetönten Seufzer der Beschwernis ausstößt. Aber könnte es nicht mehr sein als einer ihrer Scherze, dass ihr Gesicht so völlig faltenfrei geblieben sei, weil es so intensiv im fetten Dunst gebadet wird? Auch Signora Ciampi, die Gattin des Schatzministers, der hier isst, hat unlängst ihren Teint bestaunt.
    Anna kocht im fröhlichen Bewusstsein, dass sie eine hohe Kunst ausübt. Hätte sonst der Chef einer Kochschule aus New York sie filmen lassen, wie sie ihre carbonara macht? Wäre sonst das Lokal jeden Abend voll? Und würde Anna sonst sich täglich außer sonntags in diese Hitze stellen, vom Vormittag bis in die Nacht? »Ich weiß nicht, woher sie all die Kraft nimmt«, sagt Aldo. »Anna ist ein Motor, der nie anhält.« Und jeden Abend wird der Motor auf höchste Tourenzahl gejagt, wenn hundert Gäste an den Tischen sitzen, wenn die Kellner laufend neue Ordres in Annas Flammen-Baldachin hinüberschreien.
    Der Pommidoro ist ein klassischer Familienbetrieb, wie es sie in Italien zu Hunderttausenden gibt. Kellner sind Aldos und Annas Schwiegersöhne Amedeo, Mario und Valentino. Mittags hilft auch Tochter Dina, abends springen bei Bedarf auch deren Schwestern Sandra und Rossana ein. Es bedienen ferner Toni, ein Neffe Marios, und Livio, der ein Cousin Amedeos und ein Schwager Marios ist. Und Benito, der im offenen Kamin über Holzkohlenglut die Steaks und Fische brät, ist ein Onkel Amedeos. Aldo, der padrone , ist der Libero. Hier nimmt er Vorbestellungen entgegen, empfängt die Gäste, schneidet Spanferkel auf; dort füllt er Wein ins Fass, putzt Muscheln, hackt Ochsenschwänze klein, sitzt am Schreibtisch. Nur Aldo und Mario stellen Rechnungen aus, nur Aldo und Amedeo schneiden Schinken auf, und zwar von Hand.
    Als Küchenhelfer sind Zamir und Ardian eingestellt, zwei junge Albaner. Ardian wäscht Geschirr, richtet Röstbrot mit Tomaten her und geht den Kellnern bei den Nachspeisen zur Hand. Zamir schafft Fleisch herbei, schlägt Eier für die carbonara , spickt Meerestiere auf die Grillroste, streut Sägemehl am Boden aus und springt behände ein, wo immer eine Lücke klafft. Zamir hilft Anna, die
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