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Lesereise Prag

Lesereise Prag

Titel: Lesereise Prag
Autoren: Klaus Brill
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an der Moldau zum Brückenkopf für die Eroberung der mittel- und osteuropäischen Märkte gemacht. Walt Disney begründete hier sein Europazentrum für Handy- und Internetspiele.
    Längst sind an Prags südlicher Ausfallstraße ganze Geschäftsviertel neu errichtet worden oder im Bau, glitzernde Gebirge aus Glas und Beton. Anderswo entstehen Wohnblocks und Bürobauten von ungekannter Buntheit, die mit ihren geschwungenen Formen durchaus neue Maßstäbe der Modernität setzen. Und lange stritt man auch über den Bau neuer Wolkenkratzer im südlichen Stadtteil Pankrác, früher bekannt für sein Gefängnis, heute eine Großbaustelle, auf der bereits im Kommunismus drei Hochhäuser errichtet wurden.
    Bürgerinitiativen und Denkmalschützer sind in Sorge, die Neubauten könnten, auch wenn die historische Altstadt einige Kilometer entfernt liegt, das Weichbild der Stadt verzerren und die optische Dominanz des Veitsdoms und der Burg gefährden. Gleiches fürchtet man von Wolkenkratzern im nördlichen Stadtteil Holešovice. Die Hüter des UNESCO -Weltkulturerbes gaben sich alarmiert und besorgt, hielten ein Einschreiten aber nicht für notwendig. Untere Dienststellen der Stadtverwaltung aber gaben, bereits ehe die UNESCO abwinkte, den Bauherren schon immer wieder grünes Licht.
    Prag steht unter Druck – dem Druck des ausländischen Kapitals und dem Druck seiner sich formierenden Bürger. Oberbürgermeister Pavel Bém hatte das acht Jahre lang auszuhalten. Der Endvierziger, Psychiater von Beruf, kam 2002 ans Ruder und wurde 2006 mit 54,4 Prozent wiedergewählt. Er führte zeitweise die Liste der beliebtesten Politiker Tschechiens an, nachdem er als Bergsteiger die Spitze des Mount Everest erklommen hatte. Bém war auch stellvertretender Vorsitzender der konservativ-liberalen Bürgerdemokraten ( ODS ), Präsident Václav Klaus galt als sein Förderer. Sein Stern begann jedoch zu sinken, nachdem er in innerparteilichen Machtkämpfen seinen Gegnern unterlegen und außerdem durch eine Reihe von Korruptionsskandalen selber ins Zwielicht geraten war.
    Auch seine Stadtentwicklungspolitik war oft umstritten. Béms Idee von Prag war die »einer modernen Stadt, die nichts von ihrem historischen Zauber verliert«. Da nun einmal die Gestaltungsunfähigkeit des kommunistischen Regimes unabsichtlich die Magie des Historischen erhalten habe, »können wir aus den Fehlern anderer lernen«, meinte der Oberbürgermeister in einem Interview. »Wir wollen sensibler sein, wir haben mehr moderne Werkzeuge zur Verfügung, und die wollen wir benutzen.«
    Jede Stadt braucht nach Ansicht Béms moderne Architektur, und der Hochhausbau von Pankrác stellt für ihn nur die Komplettierung einer urbanistischen Aufgabe in einem relativ kleinen Gebiet dar. »Prag wird sicher keine Stadt von Wolkenkratzern werden«, sagte er, »aber die Koexistenz von Alt und Neu ist möglich. Jedenfalls bleibt das geschützte historische Areal strikt für jede Baumaßnahme gesperrt.«
    Eine Beschleunigung der Stadtentwicklung versprach sich der Konservative von einem Sportevent – Prag bewarb sich um die Olympischen Sommerspiele 2016, ohne Chancen. Pavel Bém verstand es als Fanal für einen späteren Erfolg, andere Bürgermeister zeterten, die Hauptstadt wolle wieder einmal zu Lasten anderer das große Geld abfassen. Auch in Prag gab es Unmut, auch aus anderen Gründen. Das Projekt einer neuen Nationalbibliothek auf dem Letná-Hügel fuhr sich fest, der futuristische Entwurf des Londoner Exil-Pragers Jan Kaplický scheiterte am Lavieren des Oberbürgermeisters. Und die Prager Theater waren in Aufruhr wegen einer Kürzung von Mitteln und einer Strukturreform.
    Auf Kritik stößt, wie in jeder Großstadt, auch die Stadtplanung, denn hart prallen die Interessen aufeinander. »Es gibt keine Vision von Prag«, sagt Richard Biegel, Assistent am Kunsthistorischen Institut der Karlsuniversität. Der Zweiunddreißigjährige ist Geschäftsführer des Vereins »Für das Alte Prag« und kritisiert vehement »den Filz zwischen Großinvestoren und politischer Vertretung«, ferner zweifelhafte Expertengutachten sowie Struktur- und Verfahrensmängel im Denkmalschutz. Vor allem fehle es in manchen Bereichen an klaren Regeln, sagt Richard Biegel beim Bier im alten Mühlencafé auf der Kleinseite, »und wenn man keine Regeln hat, dann ist alles möglich«. Das historische Zentrum, so sehr er es liebt, ist für ihn »in hohem Maße ein Potemkinsches Dorf für die Touristen
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