Lesereise New York
die traditionellen Mieter des World Trade Center, schrumpften rapide. Doch Silverstein glaubte an den raschen Wiederaufschwung.
Die Hausse kam, doch Silverstein hatte nichts davon. Stattdessen stand er nach 9/11 vor den Trümmern seines frisch erworbenen Besitzes. Silverstein kassierte zwar eine fürstliche Versicherungssumme für seinen Verlust. Doch er war auch praktisch alleine dafür verantwortlich, das Gelände wieder zu bebauen.
Natürlich hatte der damals bereits Siebzigjährige großes Interesse daran, auf dem Gelände wieder profitable Büroflächen zu errichten und zwar so rasch und so viele wie möglich. Für Diskussionen, dass das Gelände als sichtbare Narbe leer bleiben soll, wie sie etwa anfänglich der damalige Bürgermeister Rudy Giuliani vom Zaun trat, hatte er keine Geduld. Ebenso wenig für die Argumente von Giulianis Nachfolger Michael Bloomberg, der 2002 ins Amt gewählt wurde und für eine vielseitigere Nutzung des Areals mit mehr Wohnraum, Einzelhandel und kulturellen Einrichtungen plädierte.
Bloomberg erhielt in jenen Tagen Rückenwind von einer Gruppe namens R.Dot – eine Abkürzung für »Rebuild Downtown – Our Town«. Dahinter verbargen sich dreihundertfünfzig Architekten, Designer und Stadtplaner, die in der Katastrophe vom 11. September eine Chance sahen. Für sie lag die Misere des unteren Manhattan nicht am Terrorattentat. Die Probleme des Viertels hatten ihrer Meinung nach schon viel früher begonnen – nämlich spätestens mit dem Bau des World Trade Center Anfang der siebziger Jahre. Jetzt, so glaubten die Fachleute unter Federführung der Journalistin Susan Szenasy, habe man die Gelegenheit, die Sünden von damals wiedergutzumachen.
Damals, das waren die sechziger Jahre und Lower Manhattan drohte abzusterben. Die Hafenanlagen an den Flüssen, die das Leben des Viertels lange geprägt hatten, waren mit dem Wachsen der Containerschifffahrt zunehmend bedeutungslos geworden. Das Verladegeschäft wanderte immer mehr nach New Jersey, wo die großen Überseetanker gelöscht werden konnten, die nicht mehr in die Fahrrinne des Hudson passten. Das einzig verbleibende Gewerbe war noch die Radio Row, eine Ansammlung von kleinen Elektronikwerkstätten an der Greenwich Street. Und natürlich die Wall Street.
Doch auch die Finanzwirtschaft begann sich anderweitig zu orientieren. Der Trend der Angestellten in dieser Zeit, in die Vororte zu ziehen, ließ es für die Banken günstiger erscheinen, Büros in der Nähe des Pendlerbahnhofs Grand Central Terminal an der 42nd Street zu unterhalten als im schwer erreichbaren downtown .
Zu jener Zeit mietete sich auch der Fotograf Abe Frajndlich hier in der Gegend ein, er nahm sich ein Loft im leer stehenden alten Verlagshaus der längst eingestellten New York Tribune am City Hall Park. Frajndlich hoffte wie viele, dass aus der Gegend eine Art neues East Village würde, ein Refugium für Künstler und Kreative wie ihn. »Ich hatte gerade geheiratet, wir hatten ein kleines Kind und ich brauchte Platz für mein Studio und meine Dunkelkammer. Hier unten konnte ich mir das alles noch leisten«, sagt Frajndlich, der bis heute in dem zweistöckigen Apartment mit Blick auf das Rathaus lebt.
Doch Leute wie Frajndlich blieben isoliert, Lower Manhattan wurde nie zu einem Boheme-Biotop. Denn ein Mann hatte andere Pläne für das Viertel: der Bankier und Milliarden-Erbe David Rockefeller. Der Chef der Chase Manhattan Bank sah die Zukunft der Gegend so wie die Zukunft der ganzen Insel nur in einem: in der Finanzwirtschaft. New York war als Welthafen und Handelsplatz groß geworden. Die Bedeutung des Hafens war jedoch schon lange geschwunden, das konnte man gerade an Lower Manhattan sehen. Für Handwerk und Industrie war Manhattan zu klein und der Grund zu wertvoll. Also gab es für Rockefeller nur einen Weg in die Zukunft, wenn New York seinen Status als Weltmetropole behalten wollte: den Weg des Geldes.
Gemeinsam mit seinem Bruder Nelson, dem New Yorker Gouverneur, begann Rockefeller deshalb die ersten Pläne für ein Welthandelszentrum zu schmieden – eine Art Hauptquartier für das globale Finanzwesen. Und mithilfe ihrer Mittel und ihrer Verbindungen kam das Projekt auch rasch ins Rollen. Es wurde eine eigene Gesellschaft zur Planung des Monstrums und zur Entwicklung des Viertels, die Downtown-Lower Manhattan Association ( D-LMA ) gegründet – eine Allianz aus der Staats- und der Stadtregierung und den Spitzen der Finanzwirtschaft.
Mit dem Bau des
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