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Lesereise Kulinarium - Italien

Lesereise Kulinarium - Italien

Titel: Lesereise Kulinarium - Italien
Autoren: Dorothea Loecker , Alexander Potyka
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sie von glücklichen Kühen, duftendem Obst und wogenden Weizenfeldern wie in den Werbespots großer Nudelfabrikanten. Lebensmittelskandale haben auch Italien erfasst, Bio-Produkte werden gerade Mode. Gefragt ist das typische Produkt, das traditionelle Gericht, und so mancher Römer fühlt sich sonntags als Trüffelschwein auf der Suche nach bisher unerkannten Schätzen. An Waldesrändern kann man Großstädtern in Gummistiefeln auf der Suche nach Pilzen oder wildem Spargel begegnen. Manch braver Familienvater mutiert in seiner Freizeit zum Jäger, der gnadenlos Fasanen, Rebhühnern und Kaninchen nachstellt. Beim Ausflug aufs Land mit der Familie wird scharf abgebremst vor Höfen, die selbst geschlachtetes Fleisch oder Honig offerieren. Und die Bauern, die entlang der Landstraßen ihre Tomaten und Melonen verkaufen, finden stets Kundschaft. Das Gemüse schmeckt doch gleich besser, wenn man es unter der Gefahr eines Auffahrunfalls unter einem schattigen Baum erstanden hat statt im Supermarkt in der römischen Vorstadt.
    Einer, der sich darüber freut, ist Francesco Ceccalupo vom Verein »Ecce Vinum«. »Il gusto nella cultura«, der Geschmack in der Kultur, ist etwas hochtrabend auf seiner Visitenkarte zu lesen. Doch was heißt hier hochtrabend, man hat eben so seine Ansprüche, und wenn es dem Römer mit etwas blutiger Ernst ist, dann mit dem Essen. In Anzug und Krawatte und mit feierlicher Miene steht Ceccalupo deshalb unter einem weißen Sonnenschirm in dem kleinen Park bei der Engelsburg in Rom und preist einer Schar andächtig lauschender Großstädter vor Plastiktellern die echte und einzige ricotta Latiums an. »Seht dieses porzellanene Weiß!«, ruft er, »Erahnt die Weiden, auf denen diese Tiere gegrast haben!« Sein Publikum nimmt mit den Mienen von Star-Gastrokritikern ein Löffelchen von dem milchigen Wunder aus einem kleinen Betrieb am Lago Bracciano und lässt sich dazu einen amberfarbenen Süßwein aus Terracina schmecken, laut Ceccalupo ein reines »Konzentrat aus Sonne, mit Noten von Datteln und Honig«. Die Spezialitätenverkostung ist ein echter Renner auf der Messe »La campagna in città«, »Das Land in der Großstadt«, die die römische Handelskammer jedes Jahr veranstaltet. Bio-Honig, selbst gemachte Konfitüren, Kuchen, Liköre, Wein und sogar Bio-Bier von einem Brauer aus Ciampino werden hier präsentiert, ach was, was heißt schon präsentiert: probiert und mit großen Gesten diskutiert und kommentiert. Und bei alledem schwingt der Stolz darüber mit, dass diese wunderbaren Dinge so nahe der Großstadt produziert wurden.
    Latium hat eine einfache, bäuerliche, auch ein wenig derbe Küche mit vielen Gerichten, die inzwischen kaum noch auf den Tisch kommen, weil sie nicht mehr dem heutigen Geschmack entsprechen: pagliata etwa, geschmorter Darm vom Milchkalb, Kutteln oder coda alla vaccinara , Ochsenschwanz, der in Weißwein mit Zwiebeln und Tomaten geschmort wird. Um die Produkte aber, die das Land um Rom hergibt, wird ein großes Spektakel veranstaltet: Zu jeder Jahreszeit steht irgendwo eine sagra auf dem Programm, eine Art Volksfest, das um eine bestimmte Spezialität kreist. Sowohl Römer als auch Landbewohner legen klaglos und voller Begeisterung lange Wegstrecken zurück, um etwas Typisches zu verzehren: Die kleinen, süßen Erdbeeren von Nemi in den Albaner Bergen zum Beispiel, sauteuer, aber was soll’s? Hauptsache sie schmecken, die Sagra delle fragole ist jedes Jahr Anfang Juni ein voller Erfolg in dem malerischen Örtchen über dem See. Das Städtchen Amatrice an der Grenze zwischen Latium und den Abruzzen lädt Ende August zur Sagra degli spaghetti all’amatriciana , wo dann Berge der berühmten Nudeln mit pancetta , also Speck vom Schweinebauch, Tomaten und pecorino unters Volk kommen. Und so geht es immer weiter: Mal wälzen sich die Autokolonnen zum Fest der Artischocken in Ladispoli, mal zu dem der Weintrauben in Marino in den Castelli Romani, wo dann Wein aus den Brunnen sprudelt. Mal werden in Soriano nel Cimino die Kastanien gefeiert, mal sind die Fische aus dem Bolsena-See an der Reihe. Bei jedem dieser schier unzähligen Feste sind alle Einwohner von Stadt oder Dorf auf Achse, um Essen auf Plastikteller zu verteilen und Wein auszuschenken, in Erinnerung an die alten bäuerlichen Werte der Gastfreundschaft und Großzügigkeit. Man sitzt unter freiem Himmel, die Jüngsten drehen im Kinderkarussell ihre Runden bis ihnen schlecht wird. Oft spielt eine Musikkapelle alte
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