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Lesereise Kulinarium - Italien

Lesereise Kulinarium - Italien

Titel: Lesereise Kulinarium - Italien
Autoren: Dorothea Loecker , Alexander Potyka
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gibt es vor Marcellas winzigem Geschäft an der Piazza von Ariccia einen gewaltigen Stau. Dann nämlich stehen die Römer Stoßstange an Stoßstange, die Autoradios lärmen. Und bevor nicht auch der letzte hungrige Ausflügler seine porchetta bekommen hat, das gegrillte Schweinefleisch, das das Städtchen in den Albaner Bergen in ganz Italien berühmt gemacht hat, ist an ein Weiterkommen nicht zu denken. Viele Großstädter finden ihren Weg die paar Treppenstufen hinunter zu Marcella, die samt ihren neunundsiebzig Jahren mit rosigem, glattem Gesicht den Ansturm pariert und das Messer wetzt. Vor ihr auf der Theke liegt eine gewaltige Sau, mit Oregano, Rosmarin, Knoblauch und wildem Fenchel gewürzt und mit einer feinen, festen Kruste. Marcella säbelt großzügige Stücke ab, packt sie zwischen zwei Brotscheiben und reicht eine Dose kaltes Bier dazu. Das war’s, und doch stehen die Römer mit Gesichtern im Laden herum, als sei ihnen soeben die Muttergottes erschienen. Auf dem Land, nach so vielen mühsam zurückgelegten Kilometern mit quengelnden Kindern auf dem Rücksitz und der Oma im Gepäck, schmeckt es eben einfach besser. »An einem schönen Sommertag verkaufe ich schon mal zwei komplette Schweine«, sagt Marcella mit einem amüsierten Lächeln: »Wir in Ariccia haben die porchetta ja eigentlich immer nur zu besonderen Festen gemacht. Aber die Römer kommen, sie wollen essen, sie essen viel …«, und dann muss sich Marcella auch schon wieder einem Kunden zuwenden, der sich noch ein paar coppiette , im Ofen geröstete und anschließend getrocknete Schinkenstreifen, mit nach Hause nehmen will – um auch noch am Mittwoch von einem besseren Leben auf dem Land zu träumen.
    Sonntägliche Landpartien sind ein urrömischer Ritus, vielleicht, weil in jedem Römer immer noch ein heimlicher Bauer steckt. Einst hatten viele der inzwischen in Betonburgen eingezwängten Städter ein Gärtlein in der Campagna Romana, und noch heute kann man in wüsten Vorstädten ältere Herrschaften antreffen, die auf handtuchgroßen, der Straße abgetrotzten Beeten liebevoll Broccoli und Tomaten züchten. Der Ausflug aufs Land, in den Garten und in die trattoria im Grünen gehörte einmal zum Sonntag wie der Gottesdienst. Heute haben die meisten ihre Gärten als Baugrund verkauft, doch das Endziel der Landpartie ist dasselbe geblieben: »una grande mangiata e una bella bevuta«, wie es in Rom heißt, also ein großes Fressen mit was Anständigem zu trinken.
    Kuriosester Ausdruck dieses Bedürfnisses ist die fraschetta , ein typisches Lokal der Castelli Romani südlich von Rom. Früher eine einfache Weinschenke, in die die Heerscharen der Hungrigen, ähnlich wie in die bayerischen Biergärten, ihre Brotzeit selbst mitbrachten, hat sich die fraschetta inzwischen zu einem rustikalen Gasthaus mit elaboriertem Angebot entwickelt: Neben der porchetta gibt es jetzt häufig eine ganze Speisekarte mit Spezialitäten wie Wildschwein oder sogar Fisch – ein Fortschritt, finden die einen, ein Stilbruch, die anderen. Die Qualität variiert stark. So manches Mal muss der Gast seine Einbildungskraft schon sehr bemühen, um zu ignorieren, dass der kredenzte Wein nicht gerade ein edler Tropfen ist und das Schwein auf seinem Teller nicht auf einem Bilderbuch-Bauernhof aufwuchs, dafür aber in einer der großen fleischverarbeitenden Fabriken von Ariccia sein Ende fand.
    In eine klassische fraschetta jedoch darf man heute noch selbst etwas zu essen mitbringen, und was der Wirt anbietet, ist ebenso einfach wie gut: porchetta und Oliven, pikante salami und Büffelmozzarella und zum Nachtisch die ciambelle , süße Teigkringel, die in Dessertwein getaucht werden. Rustikal geht es hier zu: Man sitzt an langen Holzbänken und isst von Papptellern. Das gefällt vor allem den jungen Leuten, die oft eigens aus Rom hinausfahren, um hier den Samstagabend zu verbringen. Dann tobt in den Gassen von Ariccia das Leben wie in einem römischen Ausgehviertel. Wer Glück hat, kann in einer fraschetta Szenen erleben wie aus einem Fellini-Film: Da wird ein Trinklied angestimmt, eine versammelte Großfamilie vertilgt stundenlang Berge von Essen, Kinder tanzen zwischen den Bänken herum. Das alles bei einer beeindruckenden Lautstärke.
    Allerdings suchen die Römer bei ihren Ausflügen heute längst nicht mehr nur ein nettes Plätzchen mit annehmbaren Speisen. Eingekerkert zwischen Beton und lärmenden Straßen, oft ohne die Möglichkeit, auf einem Markt einzukaufen, träumen
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