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Lesereise Kulinarium - Italien

Lesereise Kulinarium - Italien

Titel: Lesereise Kulinarium - Italien
Autoren: Dorothea Loecker , Alexander Potyka
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Schlager, die älteren Herrschaften tanzen dazu. Zum krönenden Abschluss gibt es ein Feuerwerk, und das ist dann der Moment, in dem auch der vom Stadtleben völlig überzeugte Römer das Herz eines Bauern ganz tief drinnen in seiner Brust fest und warm schlagen hört.
    Veronika Eckl

Augen zu, Löffel in den Mund
Lebensgenüsse in Cividale: eine Zeitreise
    Löffelchen, kleine Blechlöffelchen, gut zwanzig Stück. Ohne die geht für Moreno Scubla einfach gar nichts. Sie lagern unterm Ladentisch und warten auf Ausgang. Moreno Scubla lässt sie häufig raus. Jedes Mal, wenn ein Kunde sein Geschäft ansteuert, um Öl zu kaufen und dies auch ernst nimmt, kommen die cucchiainos zum Einsatz. Dick und träg fließt das Öl aus den Flaschen in die Löffel: extra vergine von der ligurischen Küste, vom Gardasee und aus dem Friaul, biologisches Olivenöl aus den Marken und der Toskana, Öl per cucinare e mangiare , günstiges Öl und teures. Gut sind sie alle. Jedes schmeckt anders: scharf und kräftig das eine, fruchtig das andere, etwas milder, weil länger gelagert, das dritte. Und jedes von ihnen öffnet die Sinne für eine andere Landschaft, für einen anderen Baum. Eine Expedition, Schluck für Schluck.
    Cividale, Corso Mazzini, die Hauptstraße durch die Altstadt. Auf Nummer 33 ein Geschäft. »Scubla – Antica Drogheria«, durchsichtige Lettern auf Milchglas. Und darüber noch ein Hinweis: »Torrefazione del Caffè«, Kaffeerösterei. Hinter einer Tür aus Holz liegt ein altmodisch anmutender Laden, weiß lackierte Einbaukästen und Regale, spätes Art déco, ein grauer Kachelboden. Seit 1921 gibt es die drogheria , seit bald vierzig Jahren ist sie im Besitz der Familie Scubla. Moreno und Ermes haben das Geschäft von ihrem Vater übernommen, und der hatte es seinem Vorgänger abgekauft. Ursprünglich seien hier Kolonialwaren und Putzmittel verkauft worden, erzählt Moreno. Aber ihm habe die Bezeichnung drogheria so gut gefallen, dass er sie beibehalten habe, obwohl man inzwischen nichts mehr am Hut habe mit Kernseife, Bienenwachs und Möbelpolitur.
    Die Scublas bieten keine ausgesucht teuren Delikatessen an, ihr Geschäft ist ein Feinkostladen im eigentlichen Sinn des Wortes, mit pasta , Reis und polenta , grappa und Wein, Käse und mortadella . Dazu sughi und Konfitüren, Dosen mit eingelegtem Gemüse und Fisch, feinste Schokolade, Mandelcreme und kandierte Früchte. Daneben Alltägliches: Puddingpulver, Ramazzotti, Joghurt. Ein Laden für alle, die dem Supermarkt nicht trauen. Einkaufen, verkosten, schwatzen. Wer sich dafür nicht Zeit nimmt, der versäumt das Leben.
    Die Cividalesi leben ganz selbstverständlich mit der Vergangenheit, in mittelalterlichen Fachwerkhäusern, venezianischen palazzi und bodenständigen, fast schon alpin wirkenden Häusern. Die Grenzen zu Slowenien und Österreich sind nah, und auch Hochgebirge und Meer nicht weit. In Cividale finden viele Straßen zusammen. Vielleicht ist das der Grund, hier Jahr für Jahr das sommerliche Mittelfest zu feiern. So hat man es getauft, es trägt einen deutschen Namen. Künstler aus allen Ländern Mitteleuropas reisen hierfür an, zu Konzerten, Lesungen, Theaterabenden. Es ist heute nicht viel anders als früher: Kulturen und Sprachen durchdringen einander, einer nimmt sich vom anderen, was er brauchen kann. Man fürchtet sich nicht mehr vor dem Fremden. Herrscher und Geschlechter sind gekommen und auch wieder abgezogen: Kelten, Römer, Goten, Langobarden, später die Venezianer und die Österreicher, schließlich Franzosen und Italiener. Das öffnet den Blick, macht gleichmütig und besonnen.
    Die ganz alltäglichen Rituale ändern sich ohnehin nicht. Das Gläschen Refosco am Vormittag, der Schwatz mit dem Briefträger, der Espresso im Caffè San Marco unter der Loggia des Rathauses. Am frühen Nachmittag endet das geschäftige Treiben. Alle drängen nach Hause. Die Geschäfte haben die Rollbalken unten, aus den Fenstern dringt das Klappern von Geschirr. Dann wird es auch dort still. Siesta . Auf der Piazza Paolo Diacono fährt ein Auto vor, zwei Polizisten steigen aus und verschwinden im Caffè Longobardo. Nichts zu tun um diese Zeit.
    Erst nach sechzehn Uhr erwacht die Stadt aus dem Schlaf. Dann sperren auch die Brüder Scubla ihren Laden wieder auf. Sogar am Sonntag im Geschäft zu stehen, wenn die Cividalesi vom Kirchgang zurückkehren und durch die Altstadt flanieren, scheint selbstverständlich. So war es doch immer schon, und so wird es bleiben,
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