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Leopard

Leopard

Titel: Leopard
Autoren: Jo Nesbø
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sein Mund war dicht an ihrem Ohr: »Gut, Kaja. Passion. Du willst leben. Ich werde dafür sorgen, dass man ihm seinen Lohn kürzt, versprochen.«
    Der Junge, der am Boden lag, rappelte sich auf und ergriff seine Waffe. Seine Gleichgültigkeit war verschwunden, blanke Wut schoss aus seinen Augen.
    Tony zog ihr die Hände auf den Rücken, dann strafften sich Kabelbinder um ihre Handgelenke.
    »So«, sagte Tony. »Dürfte ich Sie dann bitten, Lenes und mein Trauzeuge zu sein, Solness?«
    Und da war sie – endlich. Die Panik. Sie fegte ihr Gehirn leer und hinterließ alles blank, rein und grausam. Einfach. Sie schrie.

KAPITEL 8 9
     
    Weihe
     
    K aja stand am Kraterrand und blickte in die Tiefe. Die heiße Luft schoss hoch und blies ihr wie ein Föhn ins Gesicht. Ihr wurde bereits schwindelig in dem giftigen Rauch, wenn es nicht die flimmernde Hitze war, die ihren Blick vernebelte, die rotorange schimmernde Lava tief unten schien zu zittern. Eine Haarsträhne war ihr ins Gesicht gefallen, aber ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Sie stand Schulter an Schulter mit Lene Galtung, die, wie Kaja glaubte, betäubt worden sein musste, da sie benommen wie eine Schlafwandlerin zu Boden starrte. Eine weißgekleidete, lebendige Tote, in deren Innerem nur Kälte und Ödnis war. Eine Schaufensterpuppe im Brautkleid in dem leeren Fenster einer Seilerei.
    Tony stand direkt hinter ihnen. Sie spürte seine Hand an ihrem Rücken.
    »Willst du den, der hier neben dir steht, vor Gottes Angesicht zu deinem Mann nehmen und versprechen, ihn zu lieben und ihm die Treue zu halten in guten und in bösen Tagen …«, flüsterte er.
    Es geschehe nicht aus Grausamkeit, hatte er erklärt, sondern sei einfach nur praktisch. Es würde nichts von ihnen übrig bleiben, keine Spuren. Nicht einmal Fragen. Im Kongo verschwinden jeden Tag irgendwelche Menschen.
    »Dann erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau.«
    Kaja murmelte ein Gebet. Sie glaubte jedenfalls, dass es ein Gebet war. Bis sie ihre eigenen Worte hörte. »… weil es unmöglich ist, mit derjenigen zusammen zu sein, die ich liebe.«
    Die Worte aus Evens Abschiedsbrief.
    Ein Automotor brüllte hochtourig auf, und das Licht zweier Scheinwerfer huschte über den Himmel. Auf der anderen Seite des Kraters kam der Range Rover in Sicht.
    »Ah, da haben wir ja die anderen«, sagte Tony. »Winkt ihnen zu, Mädels.«
     
    Harry wusste nicht, welcher Anblick sich ihm bieten würde, als sie auf das Plateau oben am Krater fuhren. Kinzonzi hatte gesagt, Mister Tony sei neben den Mädchen nur in Begleitung des Fahrers. Beide seien mit automatischen Waffen ausgestattet.
    Unmittelbar bevor sie das Plateau erreichten, hatte Harry Saul gefragt, ob er ihn absetzen solle, aber dieser hatte abgelehnt. »Ich habe keine Familie mehr, Harry. Vielleicht stimmt es ja, dass Sie zu den Guten gehören. Außerdem haben Sie mich für den ganzen Tag bezahlt.«
    Sie fuhren bis zu einer Barriere weiter.
    Das Scheinwerferlicht strahlte über den Krater hinweg bis hin zu einem Grüppchen aus drei Menschen, die am Kraterrand standen. Dann verschwanden die drei im Rauch, aber Harry hatte bereits genug gesehen und seine Schlussfolgerung gezogen: Hinter den dreien stand ein Mann mit einem Gewehr mit kurzem Lauf. Ein geparkter Range Rover. Und keine Zeit. Als sich der Rauch verzog, konnte Harry erkennen, dass Tony und der andere Mann zu ihnen herüberblickten, als warteten sie auf etwas.
    »Machen Sie den Motor aus«, sagte Harry vom Rücksitz und legte den Lauf des Märklin-Gewehres auf die Lehne des Beifahrersitzes. »Aber lassen Sie das Licht an.«
    Saul tat, worum Harry ihn bat.
    Der Mann in der Tarnuniform kniete sich hin, legte das Gewehr an die Schulter und zielte auf sie.
    »Geben Sie ein Zeichen mit der Lichthupe«, sagte Harry und legte sein Auge an das Zielfernrohr. »Die warten auf irgendein Signal.«
    Harry kniff das linke Auge zu. Sperrte die halbe Welt aus und versuchte, nicht daran zu denken, dass es Kaja war, die er durch das Zielfernrohr sah, und Lene mit von innen ausgebeulten Wangen und vor Schock fast schwarzen Augen. Es ging um Sekunden. Er verdrängte die türkisen Augen, die ihn anstarrten, als er gesagt hatte: »Ich schwöre es«, ignorierte das poppende Geräusch der Schüsse, das ihm sagte, dass sie das falsche Signal gegeben hatten, sowie das Knallen, als die Kugeln die Karosserie trafen, erst einmal und dann noch einmal. Verdrängte alles, das nichts mit der Brechung des Lichts auf der
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