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Leon, Der Slalomdribbler

Leon, Der Slalomdribbler

Titel: Leon, Der Slalomdribbler
Autoren: Joachim Masannek
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Zweitschlüssel für den Hamsterkäfig in meiner Hosentasche fest in der Hand. „Das darf es nicht sein”, dachte ich. Und später zu Hause, als mein Vater nach dem Abendessen die Tagesschau guckte, hielt ich den Schlüssel immer noch in der Hand.
    „Bitte, lieber Gott!”, dachte ich, als endlich der Wetterbericht kam, „lass es doch Frühling werden.” Neben mir presste Marlon seinen Daumen so fest, dass er beinah fast platzte. Doch der liebe Gott hörte uns nicht. Eine Wetteränderung war nicht in Sicht.
    Später lag ich oben in unserem Etagenbett, meine neuen Fußballschuhe im Arm und den Schlüssel immer noch fest in der Hand. Es war schon nach zehn, draußen fielen die Tropfen von den Eiszapfen immer schneller auf den Boden hinab, und ich konnte nicht schlafen.
    „Weißt du was, Marlon?”, fragte ich.
    „Nein”, antwortete Marlon unter mir. Auch er war noch wach.
    „Das hätt’ ich zu gern gesehen.“
    „Was?”, fragte Marlon.
    „Diesen Fallrückzieher. Verflixt! Auf die Idee musst du erst einmal kommen. Mit ’nem Globus gegen die Wohnzimmerwand durch das Fenster gegen den Kopf seines Vaters. BAMM!
    Kannst du dir das Gesicht vorstellen, das der gemacht haben muss?“
    „Wer, Maxi?”, fragte Marlon.
    „Nee, natürlich nicht. Ich mein seinen Vater.” Ich musste jetzt lachen. Ich konnte nicht anders.
    „Was soll daran komisch sein?”, rügte mich Marlon.
    „Oh, Mann! Frag nicht so doof. Stell’s dir einfach nur vor”, sagte ich und lehnte mich über die Bettkante zu Marlon hinab.
    Eine Zeit lang war mein Bruder ganz still. Dann grinste er breit: „Oh, Mann! Jetzt seh ich’s auch: ,Bäng!‘ vor die Wohnzimmerwand. ,Schepper!‘ durchs Fenster und ,Bamm!‘ direkt vor den Kopf!” Marlon lachte, doch ich war wieder ganz ernst.
    „Was ist?”, fragte mein Bruder.
    „Das kann nicht umsonst gewesen sein”, antwortete ich.
    „War’s auch nicht”, antwortete Marlon. Auch er war wieder ganz ernst. „Das hat Maxi mit zwanzig Tagen Hausarrest teuer bezahlt.”
    „Das mein ich nicht”, erwiderte ich. „Das war ein Opfer. Verstehst du? Maxi hat sich für uns geopfert. Er war echt wild. Ein richtiger Märtürker. So ähnlich heißt das doch, oder? Und sowas ist nicht umsonst.”
    Marlon schwieg. Vielleicht gab er mir Recht. Auf jeden Fall schlief ich irgendwann ein. Ich schlief und träumte von Maxi. Ich sah seinen Fallrückzieher. ,Bäng!‘ schoss der Globus gegen die Wand, ,Schepper!‘ durch’s Fenster und ,Bamm!‘ gegen den Kopf seines Vaters. Ich lachte und flog mit dem Globus hoch, an der Sonne vorbei, durch die Wolken und hinauf zu den Sternen. Ich schwebte dreimal um den Mond und krachte dann auf die Erde zurück, wo der Globus zerschellte.
    „Das ist ein trauriger Traum”, dachte ich. Doch dann schmolz der Schnee um den Globus herum und aus dem Boden krochen die ersten Osterglocken dieses Jahres hervor.

Marlon, die Pest!
    Am nächsten Morgen kitzelte mich etwas in der Nase. Ich öffnete die Augen und machte sie sofort wieder zu. „Oh, Mann, das tat weh!” Vorsichtig blinzelte ich gegen das gleißende Sonnenlicht: Die Eisblumen an den Fensterscheiben waren verschwunden. Im nächsten Moment sprang ich auf.
    „Marlon!”, schrie ich, rutschte die Leiter von unserem Etagenbett hinunter und riss die Decke aus seinem Bett: „Marlon! Wach auf.” Doch Marlon lag nicht mehr dort.
    „Verflixt! Wo bist du?!” Ich wirbelte auf der Stelle herum: „Es ist Frühling geworden! Frühling!”
    Mein ausgestreckter Arm zeigte aufs Fenster, doch Marlon stand bereits vor mir, fertig im Fußballdress, und grinste mich an. „Was du nicht sagst, Langschläfer!”, sagte Marlon und warf mir meinen Fußballdress zu. „Beeil dich lieber! Sonst wird es noch Herbst, bevor wir zum Bolzplatz kommen.“
    An diesem Tag hab ich einen Weltrekord aufgestellt. So schnell sprang ich aus dem Schlafanzug heraus und in die Fuß-ballklamotten hinein. Mit einem Schlag war die Welt wieder in Ordnung. Verflixt. Ich hatte Recht gehabt. Maxis Opfer hatte sich gelohnt. ,Wenn du echt wild bist‘, das wusste ich jetzt, ,kann dir überhaupt nichts passieren!‘
    Es sei denn, du hast einen Bruder, und der ist die Pest. Während ich meinen Weltrekord aufstellte, holte Marlon nämlich den Zweitschlüssel aus meinem Bett, schloss das Fahrradschloss auf und holte meinen Ball aus dem Hamsterkäfig heraus.
    „Wir sehen uns auf dem Bolzplatz, Langschläfer!”, rief er, winkte mir zu und lief mit dem Ball aus dem Zimmer
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