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Leon, Der Slalomdribbler

Leon, Der Slalomdribbler

Titel: Leon, Der Slalomdribbler
Autoren: Joachim Masannek
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Wohnzimmerschrank, wo ihn die teuren Porzellanteller seiner Mutter bewachten.
    Joschka und Juli, sechs und neun Jahre alt, aus dem Haus schräg gegenüber, verurteilt zu zwei Tagen Fußballverbot. Aus ihrem Fußball wurde die Luft herausgelassen und die Ballpumpe wurde von ihrer Mutter versteckt.
    Marlon und ich, zehn und neun Jahre alt, aus der Hubertusstraße, verurteilt dazu, unsere Sparschweine zu schlachten und die Lampe im Kinderzimmer von unserem eigenen Geld zu bezahlen.
    Doch als mein Vater vom Frühstückstisch aufstand, um ins Kinderzimmer zu gehen und uns meinen Ball wegzunehmen, sprang ich auf. Ich vergaß den Orkan. „Das ist mein Ball!”, schrie ich und rannte los. Ich drängte meinen Vater zur Seite, flutschte zwischen den Türpfosten und ihm hindurch und kam vor ihm in unser Zimmer. Dort packte ich meinen Ball. Mein Vater stand wortlos in der offenen Tür. Ich war immer noch wütend und starrte ihn an. Dann hob ich das Gitter von unserem Hamsterkäfig empor, legte den Ball neben das Hamsterhaus, steckte das Gitter wieder auf den Boden des Käfigs zurück und kettete beides mit meinem Fahrradschloss aneinander. Den Schlüssel vom Schloss hielt ich meinem Vater entgegen.
    „Hier! Nimm ihn!”, zischte ich so zornig ich konnte. „Na los! Worauf wartest du noch?“
    Mein Vater musterte mich. Dann nahm er den Schlüssel und ging kopfschüttelnd aus dem Zimmer hinaus. Im selben Moment stürzte Marlon herein: „Bist du verrückt?!”, schrie er mich an. „Er sperrt den Ball doch nur in sein Arbeitszimmer, und wenn morgen die Putzfrau kommt, holen wir ihn wieder raus!”
    „Genau das tun wir nicht, du Klugscheißer”, antwortete ich, „weil nämlich die Putzfrau morgen nicht kommt.”
    „Ach ja! Und wie willst du den Ball aus dem Käfig rauskriegen?“
    Marlon war richtig wütend auf mich und ich war richtig beleidigt.
    „Das ist mein Ball”, giftete ich, „nicht deiner. Ich kann mit ihm machen, was ich will!“
    „Das seh ich, du Klugscheißer!”, konterte Marlon nur trocken. Ich griff verlegen in meine Hosentasche.
    „Meinst du das ernst?” Ich konnte mein Grinsen kaum noch verbergen. „Und wie nennst du mich, wenn ich einen Zweitschlüssel hab?“
    Langsam zog ich meine Hand mit dem Schlüssel aus der Tasche hervor.
    „Verflixter Klugscheißer!”, sagte Marlon, doch auf seinem Gesicht entstand ein herrliches Grinsen.
    Ein Grinsen, das aus Maxi „Tippkick” Maximilians Gesicht für immer verschwunden war. „Zehn Tage Hausarrest und absolutes Fußballverbot”, lautete sein Urteilsspruch. Deshalb stand Maxi im piekfeinen Wohnzimmer der Alten Allee Nr. 1 und schaute versteinert durch die zerschossene Fensterscheibe auf die Straße hinaus. Dort trug sein Vater die komplette Fußball-Sammlung seines Sohnes, die Maxi in den letzten fünf Jahren zusammengespart hatte, in drei Müllsäcken durch das Gartentor hinaus auf die Straße, wo das Müllauto schon auf ihn wartete.
    „Das ist nicht gerecht!”, pochte es in Maxis Kopf und er spielte dabei gedankenverloren mit dem Globus, der neben dem Fenster auf der kleinen Anrichte stand. „Lieber Gott! Das ist nicht gerecht. Ohne Fußball kann man nicht leben. Selbst deine Erde ist rund. So rund wie ... ein ... Ball ...”
    Auf Maxi „Tippkick” Maximilians Gesicht entstand sein berühmtes, lautloses, grinsendes Lächeln. Noch einmal tippte er die Weltkugel an und sah zu, wie schön sie sich drehte. Danach ging alles ganz schnell. Die Schrauben am Ständer des Globus, der die Erde noch daran hinderte, ein Fußball zu werden, waren ein Kinderspiel. Einen Augenblick später schlug der Äquator auf dem Parkettboden auf und der Nordpol bekam einen kräftigen Tritt. Immer wieder schoss Maxi den Globus gegen die Wohnzimmerwand. „Absolutes Fußballverbot! Dass ich nicht lache!”, dachte er und hob den Ball mit dem Knie in die Luft bis knapp unter die Wohnzimmerdecke. „Jetzt noch den Fallrückzieher!” Dieser Gedanke war einfach ein Muss. Dann stieg Maxi hoch, holte mit dem linken Bein Schwung und ließ das rechte gnadenlos folgen. Satt und dumpf traf sein Fuß die Küste von Madagaskar. Der Globus schoss – wie eine Kanonenkugel – gegen die Wand, und während sich Maxi abrollte, sah er, wie die Kanonenkugel von der Wand abprallte und zurück durch das Wohnzimmer direkt auf das zweite, noch unversehrte Fenster zuflog.
    Draußen vor dem Gartentor sah Maxis Vater gerade dem Müllauto nach, das sich mit allen Fußbällen seines Sohnes entfernte.
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