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Lenke meine Fuesse Herr

Lenke meine Fuesse Herr

Titel: Lenke meine Fuesse Herr
Autoren: Christian Wittenberg
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Bahnhof und möchte gleich reservieren, doch der Spezialschalter für Fernreservierungen hat heute geschlossen.
    Den ganzen Tag streife ich durch Santiago — immer wieder einmal die Kathedrale, das Pilgerbüro, doch ich treffe niemanden mehr, den ich kenne. Schade — eine der beiden Angelikas, Bodil, Zsolt oder Birgit und Elisabeth hätte ich gerne hier begrüßt und in die Arme genommen. Und wenn ich die Pilger ankommen sehe, ist da das unbestimmte Gefühl: Ich habe es hinter mir, ich gehöre nicht mehr dazu...
    Am Abend entdecke ich, dass im Stadtpark großer Rummel ist — halb Santiago scheint da zu sein. Hingelockt hat mich ein Feuerwerk, das ich vom großen Platz aus gehört und gesehen hatte. Ich stürze mich ins Gewühl — und da kommt mir Pepe entgegen. „Jetzt sind wir nicht mehr Pilger, jetzt sind wir Touristen!“, sagt er und spricht genau das aus, was ich selbst empfinde.
    Ich lasse mich einmal um den Rummel treiben und kehre zurück auf die nächtliche Praza do Obradoiro. Unter den Kolonnaden Musik: Eine Truppe junger Männer in bunter Tracht singt und musiziert, dicht umdrängt von Menschen — die Stimmung ist fröhlich und vertreibt meine leise Melancholie. Die Musiker schnappen sich schon mal eine Señorita und tanzen, dann machen andere mit — es ist nach Mitternacht, als ich mich endlich losreiße. Auch heute schlafe ich gut — nicht einmal die laute Unterhaltung der Gäste vor dem Lokal gegenüber stört mich.

Montag, 1 . August 2005
Santiago de Compostela — Negreira ca. 35 km

    Ich bin früh auf den Beinen, packe und lasse den Zimmerschlüssel stecken, ziehe die Haustüre von außen zu. Auf zum Bahnhof. Der Angestellte am Schalter spricht gutes Englisch, sein Computer sucht genau die gleiche Verbindung heraus, die Silvia auch schon aus dem Internet gelesen hat — und der Preis ist auch identisch: über 300,00 €! Fliegen wäre sicher billiger. Die Flausen, die ich vor dem Abmarsch hatte, ich könnte vielleicht zurücktrampen, sind mir vergangen. Vom Bahnhof aus ein letzter Besuch in der Kathedrale: Der Trubel ist weniger groß — vier feierlich blickende Männer tragen einen Reliquienschrein durch das Schiff — irgendwie ist mir das doch fremd! Ich knie in einer Bank und bitte Gott um Kraft und Schutz für das letzte Stück Weg.
    Am Parador vorbei, die Treppe hinab: Der Camino hat mich wieder! Ich fühle mich stark. Am Eichenhain von San Lorenzo vorbei, die Ausfallstraße entlang — und dann muss ich eine Markierung übersehen haben, denn ich finde mich in Vidan, und das ist eindeutig falsch, wenn ich den Angaben des Führers glauben darf, den man mir heute früh im Galizischen Fremdenverkehrsamt in die Hand gedrückt hat. Doch die Skizze zeigt auch, dass es Straßen gibt, die zum Camino führen. Und richtig, in Carballal habe ich die vertraute Muschel wieder! Ab und zu sehe ich vor mir eine Gruppe junger Leute mit großen geschnitzten Wanderstöcken — das erste Mal sind sie mir schon in Santiago aufgefallen. Es geht durch Dörfer, Felder und Eukalyptushaine, bergauf und bergab — eine liebliche grüne Landschaft. Es ist warm, sehr warm, leicht bewölkt: angenehm zu gehen.
    In Ponte Maceira beeindruckt die 700 Jahre alte Brücke — und der Tambre, der dort breit und schnell über eine Stufe fließt. Ich sehe, dass dort die jungen Leute, die ich vor mir hatte, Mittagsrast machen und baden. Die Häuser hier sind grauer Bruchstein, unverputzt, urtümlich, sie strahlen Dauerhaftigkeit aus und die Aussage: In mir bist du geborgen! Die Straßen im Ort sind mit hellem Stein gepflastert, sauber, Kinder spielen und grüßen den Pilger freundlich. Es ist einfach schön!
    Den Berg hinauf — herrlicher Blick, und dann bin ich auch schon in Negreira. Wenn nur alle Etappen in den letzten drei Monaten so einfach gegangen wären! Die Befestigung mit den Kolonnaden macht neugierig, doch jetzt erst einmal in die Herberge. Die liegt etwas außerhalb des Stadtkerns, ein schönes Haus im Wohnviertel, von Rasen umgeben, großer Eingangsbereich — und hier treffe ich auch die Italienerin mit ihren beiden Hunden wieder: Sie sitzt auf dem Gras und pflegt ihre Tiere. Ein wunderschönes Bild die Drei, das Vertrauen und die Harmonie, die sie ausstrahlen!
    Ich finde ein Bett, dusche, wasche Wäsche und dann gehe ich in die Stadt zum Einkaufen. Vor der Kirche ein Denkmal: Auswanderer? Der Mann will gehen, die Frau und die Kinder wollen ihn zurückhalten und alle drei sind im Boden verwurzelt — mir
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