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Lenke meine Fuesse Herr

Lenke meine Fuesse Herr

Titel: Lenke meine Fuesse Herr
Autoren: Christian Wittenberg
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unterwegs bin — und dann bekomme ich das letzte Bett und der Engländer darf auf dem Fußboden schlafen! Das Refugio hat eine große, gut ausgestattete Küche. Die Mädchen und ich gehen im Supermarkt einkaufen und dann kochen und essen wir gemeinsam und können sogar noch andere einladen.
    Mit einem der Mädchen gehe ich noch in die Stadt, ein Eis essen, und sie erzählt von sich und ihrer Cousine. Die beiden scheinen einer Erweckungsbewegung anzugehören — Pietismus auf katholisch — nicht ganz mein Fall, wie sie von den „wunderbaren Gebeten“ schwärmt, die sie heute gemeinsam zelebriert haben. Das wirkt auf mich alles zu laut und aufgesetzt.
    Ich bringe sie zurück ins Refugio, gehe noch einmal in die Stadt, finde in einem kleinen Textilgeschäft Ersatz für meinen in O Cebreiro vergessenen Slip, komme an einem Lokal vorbei, in dem bei offener Tür eine Volksmusikgruppe mit Dudelsäcken und Trommeln übt, trinke in einer winzigen Bar noch ein Viertel Tinto de la casa und dann bin ich bettreif.
    Auf der Wiese neben der Herberge sitzt eine Italienerin mit ihren beiden Hunden — hinreißende Schönheiten alle drei! Die Frau schmust mit ihren Tieren, massiert ihnen die Läufe, streichelt sie, cremt die Pfoten. Wir kommen ins Gespräch: Sie ist mit den Hunden von Verona hergelaufen. Die Tiere sind fast am Ende und benötigen jeden Abend intensive Pflege. In der Nacht bleiben sie wie angeleint auf dem Platz, den sie ihnen zuweist, bis sie morgens wieder abgeholt werden. Hut ab vor Frauchen und Hunden!
    Noch vor Sonnenuntergang bin ich im Bett und schlafe wie ein Stein.

Samstag, 30. Juli 2005
Melide — Santiago de Compostela 56 km

    Ich bin früh auf den Beinen — gegen viertel nach fünf stehe ich in der Küche und mache mir einen Nescafé. Halb sechs verlasse ich die Herberge, nachdem ich vorsichtig über die Schläfer gestiegen bin, die dicht an dicht auf dem Boden der Flure und der Eingangshalle liegen. Die beiden Hunde der Italienerin liegen draußen neben der Tür und sehen mich aufmerksam an, lassen sich sogar streicheln und wedeln sanft mit den Ruten, doch sie rühren sich nicht vom Fleck. Hinaus aus dem Ort, im Dunkeln vorbei an Sta Maria — auch so eine Kirche, von der es heißt, man müsse sie unbedingt sehen. Vielleicht, wenn ich mit Silvia die Höhepunkte des Weges abfahre! Ich habe mir vorgenommen, heute so bis zehn, fünfzehn Kilometer vor Santiago zu gehen, um morgen mit frischen Kräften dort anzukommen. Also heute noch eine ansehnliche Strecke. Auch im Dunkeln ist der Weg gut zu finden. Ich gehe schnell und konzentriert, denn ich möchte möglichst weit kommen, ehe es wirklich heiß wird.
    Wie gestern geht es durch kleine Orte, mal Wald, meistens Eukalyptus, dann wieder Felder. Wie in Trance gehe ich, nehme kaum wahr, wo ich vorbeikomme. Ich überhole Pilger — vorbei — vergessen... Immer wieder die Staatsstraße, einmal in weitem Bogen auf eine Brücke, die sie überquert. Ich esse und trinke im Laufen, als die Sonne schon hoch steht. Arzúa: endlich ein Kaffee, ein Hörnchen — weiter durch den Ort. Die Kirche zu, doch unterhalb ein Pilgerbüro — zwar unbesetzt, doch mit freiem Zugang zum Stempel. Wieder ein Eintrag in meinem Pilgerpass! Am Ortsausgang Gärten, ich finde einen Wasserhahn und fülle meine Flaschen. Es wird Nachmittag: ein Lokal, das „deutschen Kuchen“ anbietet. Da komme ich nicht vorbei und kriege wirklich ein schönes Stück Sandkuchen. Die Wirtin ist Spanierin, mit einem Deutschen verheiratet, aber der ist in der Arbeit.
    Der Camino quert immer wieder die Nationalstraße. Auf einem Parkplatz ein deutsches Wohnmobil, die Seitentür offen, der Fahrer sitzt auf der Treppe, neben sich zwei Literflaschen Mineralwasser. Spaß muss sein, denke ich, gehe auf ihn zu und sage: „Das ist aber nett, dass der Servicewagen hier auf mich wartet!“ Der Mann schaut etwas verdutzt, doch dann sagt er: „Servicewagen für meine Frau: Die wollte heute mal auf dem Jakobsweg gehen!“ — „Deshalb habe ich Sie wohl vor ein, zwei Stunden schon mal am Weg gesehen!“ — „Ja, da habe ich sie abgesetzt! — Wollen S’ einen Schluck zu trinken?“ Da sage ich nicht nein! Er fragt mich, wo ich denn in den Weg eingestiegen bin — wieder einer, der es kaum glauben kann. „Wie weit ist es denn bis hierher?“ — „Also meiner Rechnung nach bin ich jetzt etwas über zweitausendfünfhundert Kilometer gelaufen.“
    Weiter. Ich komme an einem privaten Refugio vorbei, das mich reizt,
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