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Lenke meine Fuesse Herr

Lenke meine Fuesse Herr

Titel: Lenke meine Fuesse Herr
Autoren: Christian Wittenberg
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fällt ein, dass aus Galizien im vorletzten und Anfang des letzten Jahrhunderts viele auswandern mussten.
    Abends hat sich die Herberge gefüllt — aber nicht so hektisch und überlaufen wie die letzten Herbergen vor Santiago. Höchstens ein Zehntel derer, die nach Santiago pilgern, geht den Weg weiter nach Fisterra.

Dienstag, 2. August 2005
Negreira – Olveiroa ca. 37 km

    Wie gestern geht es durch eine hügelige Landschaft — teilweise recht ansehnliche Buckel. Das Wetter ist durchwachsen, doch kein Regen. Frühstück in einer Bar an der Straße. Schon lange habe ich mich über die durchdringenden Hupen gewundert, deren Klang immer wieder durch die Stille der Landschaft schnitt — jetzt weiß ich es: Das eine ist der Bäcker, der den Gehöften und in den Ortschaften das Brot bis an die Haustüre liefert, und das andere ist der Lieferwagen mit den Gasflaschen. Die jungen Leute von gestern sind wieder auf dem Weg — haben auch in Negreira übernachtet, eine andere Gruppe fällt mir auf, drei junge Männer. Ein Stück gehe ich mit einem Universitätsprofessor aus New York, ein anderes mit zwei Frauen aus der Schweiz. Im Großen und Ganzen aber ist der Camino hier einsam — man kann wunderbar seinen Gedanken nachhängen oder einfach nur schauen.
    Das Gehen fällt mir leicht, ich spüre meinen „faulen Sack“ kaum noch. Heute Morgen habe ich ihn das erste Mal so bezeichnet, als ich ihn auf die Schulter wuchtete: „Komm her, du fauler Sack!“ Eine der Schweizerinnen fragte, wieso dieser Kosename, und ich habe es ihr erklärt: „Dieser stinkfaule Kerl hat sich von mir über zweieinhalbtausend Kilometer tragen lassen und er hat mich nicht einen Meter getragen! Wenn man so was nicht einen ,faulen Sack’ nennen darf!?“
    Von weitem schon höre ich das Singen — eine Männerstimme, die französische Hymnen singt. Dann kommt er mir entgegen. Ein junger Mann, wettergegerbt, schwer bepackt, aber mit schwungvollem Schritt. Und er singt selig, aus voller Brust und vollem Herzen ein Loblied auf Gott, Maria und den heiligen Jakobus. Seine Augen leuchten, als er an mir vorübergeht, mein fröhliches „Bonjour, pèlerin, et bon chemin!“ beantwortet er mit einem freundlichen Nicken, ohne seinen Gesang zu unterbrechen. Lange noch höre ich ihn. Welch glücklicher junger Mensch!
    Ich raste auf einer Bank neben einer alten Brücke, trinke Wasser und esse Brot und Wurst. Im Papierkorb liegt eine gute Karte von Galizien, nagelneu, ebenso wie ein Prospekt über die Region mit wunderbaren Bildern von den vielen Kulturschätzen dieses Landes. Die gehören nun mir! Den Berg hinauf — und da ist ein großer Stausee, randvoll. Mir fallen die halbleeren Reservoirs ein, die ich Vorjahren im Oktober über Zentralspanien aus der Luft erkannt habe und die Nachrichten über Unmutsdemonstrationen im südspanischen Murcia: Wasser ist dort so knapp, dass der Druck in den Leitungen gerade mal bis zum vierten Stock der Wohnhäuser reicht! Und hier Grün wohin man schaut! Ist das wirklich erst eineinhalb Wochen her, dass ich vor Astorga über sonnenverbrannte, ziegelrote nackte Erde gelaufen bin? Doch all das Grün hier nutzt nichts gegen den Leichtsinn der Menschen: Ich gehe einen ganzen Berg entlang, der einem Waldbrand erlegen ist — aus verbranntem Boden ragen nackte verkohlte Baumskelette. Doch wie ein Hoffnungszeichen keimen aus der Asche neue junge Pflanzen — Grün auf Schwarz: Das Leben geht weiter!
    Olveiroa: Das Refugio besteht aus einigen wunderbar hergerichteten alten Bauernhäusern — ein Gedicht! Nur: Direkt neben dem Schlafsaal liegt ein Schweinestall und es stinkt bestialisch. Zudem gibt es keine Fliegengitter vor den Fenstern — es wimmelt von Kriebelmücken! Ein oberlehrerhaft dozierender Deutscher warnt uns: Ein Stich dieser Mücken könne die schlimmsten Geschwüre erzeugen, ja nicht das Fenster öffnen, damit sie nicht hineinkommen — aber dann kann auch die Hitze im Raum nicht hinaus! Allerdings habe ich von den Biestern schon einige Stiche abbekommen, doch außer ein bisschen Jucken hat es mir nichts getan.
    Die übliche Abendroutine: duschen, Wäsche waschen — hier bewährt sich, dass ich in Santiago Sicherheitsnadeln gekauft habe — besser als Klammern! Ich sehe mich ein bisschen im Ort um und trinke an der Bar, die an der Landstraße liegt, ein Viertel Tinto de la casa. Zurück in der Herberge, sind da drei junge Deutsche und haben erfolgreich die letzten Mücken im Raum gekillt. Es ist hier drinnen zwar
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