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Lelord, Francois

Lelord, Francois

Titel: Lelord, Francois
Autoren: Hector
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fragte Hector.
    »Ach
wissen Sie, das kommt ganz auf den Moment an ...«
    Hector wusste
das und warf der Lady seinen mitfühlenden Blick Nr. 2 zu - den,
der Ich weiß sehr gut, was Sie empfinden und wie sehr Sie
leiden; Sie können mir alles erzählen ausdrücken sollte.
    »Ich fühle
mich immer gut, wenn ich zu Ihnen komme.«
    »Das freut
mich«, sagte Hector, »und wir werden versuchen zu erreichen, dass das gute Gefühl
länger anhält.«
    Dabei
musste er an seine erste Begegnung mit der Lady denken. Sie war nach einem
Selbstmordversuch in eine Klinik für reiche Leute eingeliefert worden, und man
hatte Hector nur herbeigerufen, weil der Kollege, der sich gewöhnlich um die
Lady kümmerte, gerade nicht erreichbar gewesen war. Sie war außerordentlich
aufgewühlt gewesen, und als Hector das Zimmer betrat, um sich ihr vorzustellen,
hatte sie ihm ihr Frühstückstablett ins Gesicht geschleudert.
    »Gute
Beziehungen beginnen häufig mit einem Konflikt«, hatte er gedacht, als er die
Lady dann mit Hilfe eines Pflegers aufs Bett drückte und eine Krankenschwester
ihr ein Beruhigungsmittel spritzte. Und tatsächlich konnten sie danach miteinander
reden, und anschließend hatte die Lady den Wunsch geäußert, weiterhin zu Hector
zu gehen.
    Das hatte Hector
ein gewisses Gefühl der Befriedigung verschafft, aber zur gleichen Zeit hatte
er sich vor diesem Gefühl in Acht genommen, denn wenn man sich von der Berühmtheit
seiner Patienten beeindrucken lässt, ist man schon auf dem besten Wege, kein
guter Arzt mehr für sie zu sein, und falls sie sich irgendwann umbringen, wird
man schlimme Schuldgefühle haben. So war es bei dem Psychiater von Marilyn
Monroe gewesen, und von der Persönlichkeit her erinnerte die Lady Hector manchmal
tatsächlich an Marilyn.
    »Mein
Leben kommt mir so leer vor«, sagte die Lady.
    »Was
möchten Sie damit sagen?«
    »Nichts
... ich meine, diese Konzerte, dieses Umherreisen, diese Aufnahmen ... das ist
doch immer dasselbe.«
    »Auch in
dem Augenblick, in dem Sie singen?«
    »Nein,
natürlich nicht, da spüre ich etwas.«
    »Also ist
Ihr Leben nicht ganz und gar leer.«
    »Nein,
nicht das ganze. Aber ich habe das Gefühl, dass niemand mich liebt ... Es gibt
in meinem Leben keine Liebe!«, resümierte sie und runzelte dabei die Stirn, als
wäre ihr das eben erst klar geworden.
    Hector musste
nun gleich zwei Dinge verhindern: dass die Lady in Zorn geriet und dass sie
ihre selbstzerstörerischen Phrasen ewig wiederholte. »Gibt es denn niemanden,
der Sie mag?«
    »Meine
Fans, meinen Sie?«
    »Ja, aber
nicht nur die.«
    »Freunde,
meinen Sie«, sagte die Lady und stieß ein leises verächtliches Lachen aus.
    Hector sagte
sich, dass er sich gerade auf heikles Terrain manövriert hatte: Für die Lady
war es sehr schwer herauszufinden, ob sie Freunde hatte. Sie war dermaßen
reich und berühmt, dass es um sie herum immer eine Schar von Leuten gab, die
sich Freunde nannten. Und was die betraf, die wirk lich ihre
Freunde hätten sein können - wie sollten die mit jemandem befreundet bleiben,
dessen Stimmungen so schnell umschlugen wie das Wetter im April?
    »Im Grunde
benutze ich die anderen«, sagte die Lady, »und die anderen benutzen mich. C'est
la vie.«
    Die Lady
hatte als Kind nicht viel Liebe bekommen, und so fiel es ihr im Erwachsenenleben
schwer, Liebe zu finden, denn wie Sie wissen, lernt man das Lieben zunächst
einmal bei seiner Mama oder seinem Papa oder besser noch bei beiden. Die Lady
benutzte die anderen tatsächlich, aber gleichzeitig hätte sie gern die wahre
Liebe kennengelernt und nicht bloß dieses kurze Aufblitzen von Liebe für die
Menschenmenge ihrer Fans oder für Liebhaber, die am Ende zuschlugen, wie es
auch manche ihrer vielen Stiefväter getan hatten. Ihre Geschichte war sehr
stimmig, aber deswegen noch längst nicht leicht zu entwirren. Hector fühlte
sich von der Lady häufig überfordert, beruhigte sich allerdings wieder, wenn
er an all seine Kollegen dachte, die sie hatte fallen lassen - manche von ihnen
waren älter und erfahrener gewesen als er. Wenn sie es alle nicht eben toll
hinbekommen hatten, brauchte auch er sich nicht dauernd vorzuwerfen, dass er
sich seiner Aufgabe nicht gewachsen fühlte.
    Und dann
sagte die Lady genau das, was er befürchtet hatte: »Und im Übrigen - auch Sie
benutzen mich nur!«
    Hector sagte
sich, dass er das mit seinem mitfühlenden Blick Nr. 2 provoziert
hatte und dass so etwas in ihrem Leben immer wieder vorkam - sobald jemand
zeigte, dass
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