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Lelord, Francois

Lelord, Francois

Titel: Lelord, Francois
Autoren: Hector
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hatte er wirklich große und auch ein bisschen haarige Ohren.
    Nach und
nach hatte Hector ihm klarmachen können, dass er von diesen kleinen Gesprächen
mit Gott nicht aller Welt zu erzählen brauchte, dass die Sache vielmehr unter
Gott, Roger und Hector bleiben konnte und vielleicht noch unter ein paar
wohlwollenden Leuten, die bereitwillig mit ihm darüber redeten. Zu denen zählte
beispielsweise Rogers Gemeindepfarrer, der Hector bisweilen anrief, wenn er
fand, dass Roger gerade wieder ein bisschen zu sehr in Wallung geriet.
    »Roger«,
hatte ihm Hector oft gesagt, »im Leben gibt es Kämpfe, die man besser nicht
ausficht.« Im Laufe der Jahre hatte Roger auch eingesehen, dass man sich nicht
vor aller Welt mit Gott schmücken sollte, und irgendwann hatte er zu Hector gesagt:
»Sie beraten mich wie ein wahrer Freund, Doktor.«
    An diesem
Tag war Roger ausgeglichen, und Hector fragte ihn, ob im Moment alles glatt
laufe in seinem Leben.
    »Ja, es
läuft alles gut. Der Herr ist mein Hirte.«
    »Haben Sie
in letzter Zeit gute Gespräche geführt?«
    »Ja, mit
dem Pfarrer. Und auch mit anderen Leuten aus der Gemeinde. Sie spenden mir
Licht in diesem Jammertal ...« Und bei diesen Worten verfiel Roger in einen
leichten Singsang.
    »Haben Sie
in der Pfarrgemeinde Freunde gefunden?«
    Roger
musste ein paar Augenblicke lang nachdenken. »Wissen Sie, Doktor, ich glaube,
ich habe keine Freunde. Leute, die nett zu mir sind - das ja, aber Freunde ...
nein.«
    »Wie
kommen Sie darauf?«
    »Ich
empfange mehr, als ich gebe.«
    »Ahm ...
Vielleicht geben Sie ja mehr, als Sie denken«, meinte Hector und dachte dabei,
dass er selbst schon ein Beweis dafür war - Roger verschaffte ihm das Gefühl,
nützlich zu sein, und half ihm damit, in diesem ziemlich schweren Beruf
durchzuhalten.
    »Mag
sein«, sagte Roger. »Auf jeden Fall stehe ich voll und ganz in der Freundschaft
Gottes, und die ist ohne alle Grenzen. In der Freundschaft Gottes, der die
Niedrigen erhöht und den Betrübten emporhilft...«
    Und dann
begann Roger Der Herr ist mein Hirte zu summen,
und die Konsultation war zu Ende. Hector fragte sich, ob er ihn vielleicht dazu
ermuntern sollte, sich einem Chor anzuschließen. Dann dachte er an die vier
Personen, die er heute in seinem Sprechzimmer empfangen hatte, an Julie, die
Lady, Karine und Roger. Er sagte sich, dass er selbst wirklich von Glück reden
konnte, Freunde zu haben. Schade nur, dass er sie nicht häufiger sah.
    Weil ein
Patient seinen Termin abgesagt hatte, schickte sich Hector an, in der Küche
noch einen Kaffee zu trinken und dabei die Zeitung zu lesen. Aber da klingelte
das Telefon, und die Sprechstundenhilfe teilte ihm mit, dass sie den frei gewordenen
Termin einer anderen Patientin gegeben hatte: »Sie hat erst gestern angerufen,
aber sie meinte, es sei sehr dringend, und da habe ich sie vorgezogen.« Und
schon war es um das Kaffeetrinken und Zeitungslesen geschehen! Hector hatte das
gleiche Gefühl wie damals in der Schule, wenn ein Lehrer nicht kam und alle
sich schon sagten: »Ah, prima, er ist krank, die Stunde fällt aus!« - aber Mist
hoch drei, plötzlich tauchte er doch noch auf!
     
    Hector bekommt Besuch
     
    »Eigentlich bin ich nicht als Patientin zu Ihnen
gekommen«, sagte Leutnant Ardanarinja in perfektem Englisch und mit strahlendem
Lächeln, »das muss ein Missverständnis mit Ihrer Sprechstundenhilfe gewesen
sein.«
    Während
sie sprach, passte Hector gut auf, dass er nicht in das idiotische Grinsen
verfiel, das man oft bei Männern sieht, die sich einer sehr verführerischen
Frau gegenüberfinden. Leutnant Ardanarinja trug ein strenges marineblaues Kostüm,
das ihre Kurven diskret zur Geltung brachte und den Blick auf die langen und
schlanken Beine einer Frau freigab, die wahrscheinlich regelmäßig lief -
manchmal vielleicht in jenen eleganten Ballerinas mit flachem Absatz, die sich
auch für einen Polizeieinsatz eignen mussten. Sie war unbestreitbar eine
Asiatin und hatte jenen karamellfarbenen Teint, den man in den Ländern südlich
von China so oft antrifft. Ihre Haare waren zu einem schlichten Pferdeschwanz
zusammengebunden, und auf ihrem Gesicht war kein Make-up auszumachen.
    Leutnant
Ardanarinja hatte Hector einen Plastikausweis von Interpol gezeigt, und auf dem
Ausweisfoto lächelte sie nicht. Sie wollte mit Hector über Edouard reden, der
sein Freund und sogar sein allerbester Kumpel war. »Haben Sie ihn in letzter
Zeit gesehen?«
    »Ist das
eine offizielle
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