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Lelord, Francois

Lelord, Francois

Titel: Lelord, Francois
Autoren: Hector
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prophezeit).
    »Beim
letzten Mal haben Sie mir gesagt, dass Sie außer Gott keine Freunde hätten ...«
    »Ja, aber
wenn ich der Freund Gottes bin und Gott natürlich auch mein Freund ist, dann muss
ich alle seine Geschöpfe lieben, denn auch sie sind von seiner Liebe umfangen. Also
muss ich jeden Menschen wie meinen liebsten Freund lieben, um wenigstens ein
Körnchen von der Liebe zurückzugeben, die Gott mir entgegenbringt.« Roger sagte
das mit großer Befriedigung.
    »Und
gelingt Ihnen das?«
    »Also,
Doktor, glauben Sie wirklich ...«
    »Ich weiß
nicht.«
    »Wenn mir
das gelingen würde, wäre ich der heilige Roger!«, sagte Roger, und zum ersten
Mal in seinem Leben sah Hector seinen Patienten lachen.
     
    Dann war
da natürlich noch die Lady. Hector hatte beschlossen, die Hypothese von Brice
zu überprüfen, wonach sie eher eine bipolare Störung mit schnell wechselnden
Zyklen hatte als eine Borderline-Erkrankung. Bei seiner Rückkehr war es ihr
eher gut gegangen, und er hatte sie davon überzeugen können, ein Medikament zu
nehmen, das ihre Stimmung in beiden Richtungen regulieren, also die Höhen wie
die Tiefen ein bisschen fortnehmen sollte. Seitdem dauerte die Besserung an.
Natürlich blieb sie ein Star - mit all ihren Zornesaufwallungen, ihren
Augenblicken des Zweifelns und ihrem leidenschaftlichen Wunsch nach
Bewunderung. Und natürlich half ihr Maria-Lucias mütterliche Präsenz, die allzu
heftigen Pendelausschläge in Grenzen zu halten. Jetzt hatte sie keine Lust
mehr, aus dem Leben zu verschwinden; ihr Zeitplan war regelmäßiger geworden,
und sie schluckte nicht mehr so viele Beruhigungsmittel. Das Medikament hatte
angeschlagen.
    »Ich habe
den Eindruck, dass Sie zufrieden sind«, sagte die Lady zu Hector. »Sie denken,
dass es mir besser geht.«
    »Und was
denken Sie selbst?«
    »Ich weiß
nicht, warum, aber mich regt es auf, dass Sie zufrieden sind.«
    »Hervorragend«,
sagte Hector. »Da haben wir etwas wirklich Interessantes. Erzählen Sie bitte
weiter.«
    Inzwischen
konnten sie über die Probleme mit der Anhänglichkeit und der Zurückweisung
sprechen, ohne dass die Lady gleich in die Luft ging.
    Ihre
Anwälte hatten ihr dringend davon abgeraten, zu Edouard, diesem flüchtigen
Kriminellen, auch nur den lockersten Kontakt zu wahren. Aber sie hatte
begonnen, direkt an Organisationen zu spenden, die auf einer Liste standen,
deren Herkunft sie den Anwälten nicht verraten hatte. Außerdem war sie gerade
gebeten worden, Sonderbotschafterin der UNICEF zu werden.
    »Ich
möchte, dass sich für die anderen etwas ändert«, sagte sie zu Hector. »Aber für
mich, glaube ich, ändert sich dadurch nichts. Ich würde Ihnen ja gern sagen,
dass ich mich besser fühle, wenn ich Gutes tue, aber es stimmt nicht.«
    »Das macht
Ihre guten Taten umso verdienstvoller.«
    »Für wen -
für Gott vielleicht? Oder für Buddha?«
    »Ich weiß
nicht. Darüber sollten Sie mit Pater Jean sprechen oder mit Idwa.«
    »Schon
wieder Ihre berühmte Rollentrennung, nicht wahr?«
    »Ich sage
es vor allem, weil ich mich in diesen Fragen nicht kompetent fühle.«
    »Okay,
dann sind Sie außer für fiese kleine Fragen eben noch kompetent in Bezug auf
kleine Pillen und so.«
    Hector
hatte beschlossen, ihr nichts davon zu sagen, dass diese Pillen zuerst eine
Idee von Brice gewesen waren; die Lady sollte ihren Psychiater ruhig auch
weiter ein wenig idealisieren. Im Geiste aber entschuldigte er sich bei Brice
dafür.
    Nach
seiner Rückkehr hatte Hector Kontakt mit der Ärztekammer aufgenommen, um
herauszufinden, ob es möglich war, den Ausschluss rückgängig zu machen und
Brice probeweise und unter Aufsicht eines Kollegen wieder praktizieren zu
lassen. Brice konnte viel Schaden anrichten, das wusste er nur zu gut, aber er
konnte auch Gutes bewirken.
    Hector
hatte weiter darüber nachgedacht, weshalb er noch immer freundschaftliche
Gefühle für Brice empfand, obwohl das den Ansichten von Aristoteles
zuwiderlief. Für den Philosophen hing die Freundschaft an der Tugend des
Freundes. Aber hatte sich der alte Grieche nicht auch gefragt, ob uns die
Erinnerung an frühere Nähe nicht dazu brachte, die Freundschaft zu bewahren?
    Oder
entsprach sein Rest von Zuneigung für Brice eher der Sichtweise des heiligen
Thomas von Aquin? Stand Brice nicht selbst als Sünder in der Liebe Gottes? Aber
Hector wusste auch, dass Idwa nicht unrecht hatte: Eine ausgeprägte spirituelle
Dimension hatte er nicht - außer in schwierigen Momenten, und selbst da
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