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Leitfaden China

Leitfaden China

Titel: Leitfaden China
Autoren: Hans Jakob Roth
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einfliesst (Sunzi, 1999, Wee et al. 1991). Während das Denken des altgriechischen Strategen strategisch-analytisch ist, gibt uns Sunzi die Taktiken der Kriegsführung vor. Die Strategie hat derjenige zu machen, der diese Taktiken anwendet. Bereits in diesen beiden Werken, welche vor rund 2500 Jahren entstanden sind, werden die westlichen Stärken der Distanz und der Strategie und die östlichen Stärken der Pragmatik und Taktik sichtbar.
    Während Asien somit durch die Dichte der Besiedelung und des Zusammenlebens über die Komponente der Enge ein ausgezeichnetes Erfassen eines aktuellen Moments erreicht, hat der Westen weitere Sichten entwickelt, die aber den Bezug zum Aktuellen nur noch reduziert herstellen können. Die Wahrnehmungshorizonte sind unterschiedlich. Im asiatischen Fall sind sie so eng, dass alle Sinne an der Wahrnehmung beteiligt sind, während sich der Westen in den meisten Fällen auf Sehen und Hören beschränkt. Diese Entlastung der Verarbeitungsmodalitäten des Gehirns sind es, welche dem westlichen Menschen Analyse und Abstraktion erlauben. Asien wird Grundlagenforschung noch auf Jahrzehnte aus Europa und Amerika beziehen müssen, ein wichtiger Grund, um einer globalen Unternehmensstrategie das entsprechende Gewicht zukommen zu lassen. Andererseits ist ein taiwanesischer oder japanischer Ingenieur einem westlichen Kollegen weit überlegen, wenn es um die Verbesserung eines Produktionsprozesses oder um die Benutzerfreundlichkeit eines Produktes geht. Hier bildet das konkret-pragmatische, holistische Erfassen der Problemstellung das zentrale Element, mit dem erfolgreich gearbeitet werden kann.
    Es geht hier nicht darum zu zeigen, welches der beiden Muster erfolgreicher oder gar besser ist. Ich hoffe gezeigt zu haben, dass mein Modell die Stärken und Schwächen beider Muster aufnimmt. Das chinesische Hier und Heute ist mit einer visionären Sicht der Zukunft, einer Risikobereitschaft und einem Selbstvertrauen verbunden, das ich mancher westlichen Person wünschen würde. Andererseits zeigt gerade auch die weltwirtschaftliche Entwicklung die Grenzen des trial und error Prozesses auf, mit dem der Osten in der Regel arbeitet. So lange eine ganze Gesellschaft an einen Aufbruch glaubt, stehen die Massen positiv hinter der Entwicklung. Wenn hingegen die Überzeugungen fehlen, wie in Japan im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, dann behindert die Lethargie und das negative Einschätzen der Massen einen Wiederaufschwung sehr stark. Beide Phänomene sind mit den Charakteren einer Massengesellschaft zu erklären. Es sind nicht nur die schnellen Entwicklungen, die man den asiatischen Werten zugeschrieben hat, sondern selbstverständlich auch die nachhaltigen konjunkturellen Einbrüche, welche sich durch diese Werte erklären lassen müssen. Der fehlende Abstand zur Sache kann hier eine positivere Sicht behindern, die aus einer Krise führen würde.
    Führung im Spannungsfeld von Nähe und Distanz
    Meines Erachtens gilt diese Unterscheidung von Nähe und Distanz auch auf einer tieferen Ebene der Analyse. Viel ist in den letzten Jahren über den Einbezug von emotionaler Intelligenz gerade auch in Fragen der Führung diskutiert worden. Den Diskussionen liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass der Westen die Wirklicheit ausschliesslich rational sieht und den emotionalen Faktoren der Einschätzung zu wenig Gewicht zukommen lässt. Es ist kein Zufall, dass in der ganzen Diskussion die Erklärungsmechanismen für dieses rationale Handeln und für den damit verbundenen Mangel an Emotion nie zur Diskussion gekommen sind. Erklärungen sind auf einer anderen Ebene als derjenigen der Geschehnisse angesiedelt.
    Das Beherrschen des Umgangs von Nähe und Distanz ist mit stark gegensätzlichen Fähigkeiten verbunden. Das Verbindung der beiden Komponenten ist deshalb nicht einfach zu erreichen. Nähe ermöglicht Empathie und Emotion, bringt aber mit der Nähe zur Sache oder zur Person eine gehörige Portion Subjektivität mit sich. Distanz andererseits entfernt und erlaubt objektivere Einschätzungen, die ihrerseits aber auf Kosten der emotionalen Einflüsse gehen. Was noch wichtiger ist, diese Objektivierung ist nur mit dem Preis einer beträchtlichen Einschränkung des Informationshintergrundes erreichbar.
    Auch eine Führungsaufgabe besteht aus dem erfolgreichen Management von Nähe und Distanz. Wahrscheinlich ist dies die Essenz von Führung überhaupt. Das Gleichgewicht zwischen der verlangten Nähe und Distanz
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