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Leitfaden China

Leitfaden China

Titel: Leitfaden China
Autoren: Hans Jakob Roth
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erscheint jedoch von Kultur zu Kultur anders. In einer bezugsorientierten Kollektivgesellschaft, in der die Sozialisation durch eine grosse Nähe der Kontakte gekennzeichnet ist, wird personenorientiertes Handeln einer Führungskraft ausserordentlich wichtig. Gleichzeitig verlangt gerade die Nähe dieser Gesellschaften, welche grosse Vorteile für ein intuitives Erfassen der Wirklichkeit haben, dass eine Führungskraft aus anderen Gründen die nötige Distanz hält. Ohne Distanz wird es ihr in einem derart personenbezogenen Umfeld unmöglich, eine strategische oder zumindest objektivere Sicht zu entwickeln. Zur Festlegung einer Entwicklungsrichtung, die allein ein längerfristiges Überleben des Unternehmens garantieren kann, sind deshalb in einer Kollektivgesellschaft einige Schritte zurück angebracht, um den nötigen Abstand zur Sache zu gewinnen. Auch hier zeigt sich wieder, dass Mitarbeiterorientierung nicht ohne Zielorientierung einhergehen kann, und umgekehrt – wie immer das unternehmerische Umfeld auch aussehen mag. Der Spielraum zwischen erforderlicher Nähe und verlangter Distanz ist dabei in der Kollektivgesellschaft Chinas wesentlich breiter als in einer westlichen Individualgesellschaft.
    Nähe und Distanz im Personalführungsbereich
    Im Personalbereich bringt die Beherrschung des Spannungsfeldes zwischen Nähe und Distanz die Stärke mit sich, auf jemanden zugehen zu können und mit der physischen Nähe auch an Emotionalität zu gewinnen. Dieser Prozess ist aber gleichzeitig mit einer immer stärkeren Subjektivität verbunden. Um objektive Entscheidungen zu erhalten, muss wiederum Abstand geschaffen werden. Objektivität verlangt Distanz. Erst diese führt zur verlangten Unabhängigkeit der Führungsperson von ihren Untergebenen.
    Professionelle Personalführung fordert die Fähigkeit, anderen offen nahezutreten, ein Grund, warum Führungspositionen im Personalbereich oft von Frauen besetzt werden. Sie zeigen im Vergleich zum Mann eine wesentlich bessere soziale Integration, was mit einer stärkeren Nähe zur Gesellschaft gleichzusetzen ist. Zudem ist sich eine Frau ihrer Emotionen oft sicherer als ein Mann, weil sie in ihrer Sozialisation nicht in demselben Mass wie ihre Kollegen gezwungen wurde, ihre Emotionalität zu unterdrücken. Die Frau hat in der Regel gelernt, mit Emotion umzugehen. Anders ein Mann, der in der heutigen westlichen Gesellschaft meist zuerst lernen muss, mit seinen aberkannten Emotionen zu leben und sie nicht mehr in jedem Fall zu unterdrücken oder gar zu verdrängen (siehe hiezu z. B. Belenky et al., 1985).
    Ist es geradezu eine Fähigkeit der Frau, auf jemanden zuzugehen, Empathie zu empfinden und Emotion zu zeigen, so hat sie andererseits mehr Probleme, die für einen objektiven Entscheid notwendige Distanz zu schaffen. Während ihr Kollege um Empathie und Emotion kämpft, muss sie sich von diesen Faktoren zu befreien suchen, um eine grössere Objektivität eines Entscheids zu erreichen. Professionelle Personalführung verlangt die Unabhängigkeit der Führungsperson von ihrer sozialen Umgebung. Erst diese Distanz ermöglicht ein objektiveres Einschätzen einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters, das für Unternehmen und Angestellte selbst wichtig ist. Die Unabhängigkeit des Urteils wird erst über eine Distanzierung wieder möglich.
    Das richtige Management von Nähe und Distanz ist deshalb nicht einfach zu erreichen. Dabei ist es gerade diese Vereinigung der beiden gegensätzlichen Fähigkeiten, welche professionelles Handeln begründen. Es ist nicht der Verzicht auf das «Duzen» des Gegenübers, welcher ermöglicht, einem Angestellten unangenehme Wahrheiten zu sagen. Es sollte im Gegenteil gerade die durch das Duzen geschaffene Vertrauensbasis sein, welche es erlaubt, Unangenehmes in bestmöglicher Weise zu übermitteln. Die mit der Nähe geschaffene Vertrauensbasis ist die beste Grundlage der Kritik. Erst mit dem entsprechenden Vertrauen wird Kritik nicht destruktiv, sondern aufbauend verstanden. Doch diese Vertrauensbasis darf die Fähigkeit zur Distanzierung nicht beeinträchtigen, wenn richtige Personalentscheide getroffen werden sollen.
    Nähe und Distanz im Managementbereich
    Dieselbe Frage von Nähe und Distanz stellt sich auch im Bereich der übergreifenden Unternehmensführung. Praktisches Handeln und Problemlösen verlangt eine Nähe zum Problem, analog zur mitmenschlichen Nähe im Personalführungsbereich. Die Nähe schafft nicht nur menschliches, sondern
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