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Leise Kommt Der Tod

Titel: Leise Kommt Der Tod
Autoren: Sarah Stewart Taylor
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vielleicht war es seinetwegen. Vielleicht sah er sie mittlerweile mit anderen Augen. Quinn traute seiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr. Aber da bemerkte er, dass es einen anderen Grund hatte. Sie trug die Haare anders. Das war es. Sie hatte sie abgeschnitten. Ihre neue Frisur war kürzer, mit einem Pony, sie sah damit gepflegt aus, strahlender. Es stand ihr.
    Sie bemerkte, dass er sie anstarrte, daher sagte er: »Du hast dir die Haare schneiden lassen. Sieht gut aus.«
    »Oh.« Sie fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Danke.«
    Eine Stille entstand, und er wusste schon, was sie sagen würde, bevor sie es aussprach.
    »Sieh mal, ich weiß, dass es dumm von mir war, dem Jungen gegenüber so auszurasten. Ich hätte das nicht tun dürfen. Es tut mir leid.«
    Er zögerte. Am liebsten hätte er es einfach so abgehakt und ihr gesagt, dass es schon okay sei. Er war zu erschöpft, um sich die Probleme anderer Leute anzuhören. Aber er wusste, dass sie darüber sprechen wollte, deshalb fragte er: »Warum hast du das getan?«
    Sie nahm noch einen Schluck Soda, dann beugte sie sich
nach vorne, rollte die Schultern und schaute ihm ein paar Sekunden lang in die Augen, ehe sie wieder wegsah. »Ich dachte, Havrilek hätte es dir erzählt. Ich bin aus Ohio weggegangen, weil dort etwas passiert ist. Ein Typ, ein anderer Polizist, hat mich um ein Date gebeten, und wir sind zusammen ins Kino gegangen. Dann sind wir zu ihm nach Hause, und er... er hat mich vergewaltigt. Aber da es eine Verabredung war, nun ja, du weißt, wie das läuft. Ich bin ins Krankenhaus gefahren, habe mich dort untersuchen lassen und alles zu Protokoll gegeben. Letztendlich habe ich ihn doch nicht angezeigt, weil ich das meinen Eltern nicht antun wollte. Es in der Zeitung zu lesen und so weiter, aber trotzdem wussten alle Bescheid.«
    »Das tut mir leid«, sagte er. »Es tut mir wirklich leid.«
    »Der Punkt ist, dass ich hunderte Male zu Opfern gesagt habe, sie dürften sich nicht selbst die Schuld dafür geben. Er hatte kein Recht dazu. Aber trotzdem gebe ich mir die Schuld. Das tue ich.« Sie nahm ihr Soda wieder vom Tisch, aber anstatt davon zu trinken, hielt sie das Glas in beiden Händen. Quinn kannte die Geste. Es war dieselbe Haltung, mit der man an einem kalten Tag eine heiße Tasse Kaffee umfing, damit die Wärme des Getränks durch das Porzellan in die kalten Hände strömte.
    »Sie haben dich nicht gefeuert, oder?« Er hatte von Fällen gehört, bei denen das passiert war. Nach einer Vergewaltigung durch einen anderen Polizisten entließ man das Opfer, weil sich in ihrer Gegenwart alle anderen mies fühlten.
    »Nein. Mein Lieutenant hat sich sehr anständig verhalten. Er hat mir ein echt gutes Zeugnis ausgestellt. Deshalb bin ich hier.« Sie lächelte einen kurzen Moment lang, ehe ihr Gesicht wieder in sich zusammenfiel. »Du hast dich vermutlich darüber gewundert. Deshalb bin ich hier. Wegen dieser verdammten Referenzen.«
    »Du bist hier, weil du gut bist.«
    Sie sah zu ihm auf, und der Blick in ihren Augen war ihm
vertraut. Es waren Mauras Augen, verwundete Augen. Das war ihm in jenem Moment auf dem Gehsteig vor dem Museum klar geworden, als er an Mauras Gesicht hatte denken müssen. Direkt nachdem er sich eingestanden hatte, dass er Sweeney liebte.
    Als er sie jetzt betrachtete, dachte er erneut an Maura. Nie würde er vergessen, wie sie ihn angeschaut hatte, als er sie zum letzten Mal lebend gesehen hatte: wütend, anklagend und traurig. Genau deshalb irritierte Ellie ihn so.
    Aber Maura war tot. Und Ellie war nicht Maura. Sie war seine Partnerin, eine Polizistin; eine gute Polizistin, der etwas Schlimmes zugestoßen war. Das war alles.
    »Du solltest nicht glauben, es sei deine Schuld gewesen«, sagte er sanft.
    »Ich weiß. Und tue es trotzdem.«
    Sie beobachteten ein Pärchen an einem der anderen Tische dabei, wie sie Händchen hielten. Die Frau war jünger als der Mann, sehr hübsch, und sie trug ein rückenfreies Kleid, das ihre gebräunten Schultern zeigte. Quinn durchfuhr ein stechendes Gefühl, nicht unbedingt Verlangen, aber eine Art Sehnsucht.
    »Und was ist da zwischen dir und Sweeney?«, fragte Ellie schließlich.
    Er entschied sich dazu, nicht zu lügen. »Gott, ich weiß es einfach nicht. Ich weiß es absolut nicht.«
    »Weiß sie es denn?«
    Quinn musste nicht fragen, was sie damit meinte. Aber er hatte trotzdem keine Antwort darauf. Letztendlich entschied er sich für ein »Nein. Jedenfalls nicht genau«, weil er sich
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