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Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall

Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall

Titel: Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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rollte die Augen.
    »Sag mal, Opa, was hast du denn eigentlich gegen die armen Saarländer?«, wollte Marieke wissen.
    Jacob zuckte mit den Schultern und stieß ein Geräusch aus wie ein tuckernder Rasenmähermotor, aber er gab keine Antwort.
    »Das kommt daher, weil mir vor vielen Jahren einmal ein stattlicher Mann aus Sankt Wendel schöne Augen gemacht hat«, erläuterte Margot. Ein schalkhaftes Lächeln huschte über ihr faltiges Gesicht.
    »Stattlicher Mann? Dass ich nicht lache! Und von wegen ›nur schöne Augen gemacht‹«, stieß Jacob fauchend aus. Vor Zorn lief er rot an. Die Halsschlagadern quollen auf und erinnerten an dicke Regenwürmer. »Der hat dich richtig, richtig …« Er schien in seiner Erregung das richtige Wort nicht zu finden.
    »Angebaggert, angegraben«, sprang ihm sein Enkel hilfreich zur Seite.
    Der Senior drückte sich über die Ellenbogen nach oben und erhob sich von seinem quietschenden Gartenstuhl. Dann machte er eine wegwerfende Handbewegung und verzog sich grummelnd in den Keller zu seiner Modelleisenbahn. Johanna von Hoheneck, die Jacob sehr mochte, folgte ihm sogleich mit einer Tasse Kaffee und einem Stück Erdbeerkuchen.
    »Was war denn damals mit diesem schönen Saarländer, Oma?«, bohrte Marieke nach, während ein süffisantes Lächeln ihre vollen Lippen umspielte.
    »Ach, eigentlich gar nichts, mein Kind«, erklärte sie. Offensichtlich war ihr mit einem Mal dieses Thema doch ziemlich unangenehm.
    Doch ihre Enkelin ließ nicht locker. »Komm, uns kannst du diese alte Geschichte ruhig erzählen.«
    Margot Tannenberg seufzte tief. »Ach, diesem netten, höflichen Mann hab ich eben gut gefallen und da hat er mir ein paar mal Blumen nach Hause zu meinen Eltern geschickt.« Sie blickte nach unten und schmunzelte verschämt. »Aber eurem Opa hat das gar nicht gepasst. Wir haben ja damals schon miteinander poussiert.« Sie legte die Hand vor den Mund und konnte ein Lachen nur mühevoll unterdrücken. »Euer Opa hat den armen Mann einmal richtig doll verhauen – mitten auf dem Schillerplatz.«
    »Recht so, Vadder«, lobte dessen jüngster Sohn.
    »Da kamen sogar die Schutzleute und haben ihn abgeführt. Er musste eine ganze Nacht lang im Zuchthaus bleiben.«
    »Ach, das ist ja interessant: Da leben wir seit Jahrzehnten mit einem Kriminellen unter einem Dach und wissen nichts davon«, kommentierte der Kriminalbeamte mit dem breitesten Grinsen, zu dem er fähig war.
    »Jedenfalls hat dieser Saukerl dann ein für alle Mal seine dreckigen Finger von eurer Mutter gelassen«, dröhnte eine barsche Stimme aus einem der geöffneten Kellerfenster heraus.
    »Emma muss Pipi«, sagte Emma, nachdem sich das Fenster geschlossen hatte. Das süße blonde Lockenköpfchen lehnte an der Gartenmauer und ließ sich von Kurt die nackten Beinchen abschlecken.
    Der kleine Sonnenschein der Familie war nunmehr knapp zweieinhalb Jahre alt. Obwohl Emma schon seit ein paar Monaten sauber war, ließ ihre Mutter sie nicht allein zur Toilette gehen. Im Sommer letzten Jahres war Emma entführt und in einem Kellerverlies gefangen gehalten worden. Die Täter hatten sie in einen Gitterkäfig gesperrt, diesen auf ein Podest gehievt und anschließend den Kellerraum langsam geflutet.
    Zwar konnte Emma damals quasi in allerletzter Minute vor dem Ertrinkungstod gerettet werden, doch diese traumatischen Erlebnisse begleiteten sie nach wie vor durch ihr Leben. Besonders auf geschlossene Wasserflächen reagierte sie auch weiterhin mit Panikattacken und Schreikrämpfen. Als Auslöser für diese Reaktionen reichte zumeist eine gefüllte Dusch- oder Badewanne, manchmal sogar nur eine größere Pfütze aus.
    Gleich nach diesen schrecklichen Ereignissen hatten Emmas Eltern Kontakt zu einer Kinderpsychologin aufgenommen, die seitdem das kleine Mädchen therapeutisch betreute. Emma hatte inzwischen große Fortschritte gemacht. In der Anfangszeit reagierte sie selbst auf einen Wasserstrahl oder auf die Toilettenspülung hysterisch. Aber mit der Zeit reduzierten sich diese Panik auslösenden Faktoren und Marieke konnte sich gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter sogar wieder unter die Dusche stellen.
    Doch an den Besuch eines Freibades war noch immer nicht zu denken. Obwohl letzte Woche hochsommerliche Temperaturen herrschten, hatte Emmas Therapeutin vom Besuch des bei der Familie so heiß geliebten Strandbads Gelterswoog abgeraten. Wehmütig erinnerte sich Marieke daran, mit welcher Ausgelassenheit die kleine Wasserratte früher im
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