Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Leidenschaft des Augenblicks

Titel: Leidenschaft des Augenblicks
Autoren: Jayne Ann Krentz
Vom Netzwerk:
freundlich an. »Ja, sie wurde benachrichtigt. Sofort nachdem man sie am Morgen gefunden hatte. Man sagte mir aber, es gäbe keinerlei Hinweise, daß ein Fremder im Haus gewesen wäre. Es sieht ganz so aus, als hätte sie auf der obersten Stufe das Gleichgewicht verloren und wäre dann hinuntergestürzt. Sowas kommt vor, wissen Sie. Sehr häufig sogar. Vor allem bei älteren Menschen. Sie können sich natürlich mit den Beamten unterhalten. Die haben ein Protokoll aufgenommen.«
    »Aber sie scheint zu glauben, daß jemand im Haus war... Jemand, der sie absichtlich hinuntergestoßen hat.«
    »In Fällen wie diesen, wo die Gehirnfunktion durch einen heftigen Aufprall in Mitleidenschaft gezogen wurde, kommt es häufig vor, daß der Patient sich nicht mehr daran erinnern kann, was in den letzten paar Minuten vor dem Unfall passiert ist.«
    »Und dieser Gedächtnisverlust ist von Dauer?«
    Der Arzt nickte. »Häufig. Selbst wenn ein Fremder im Haus gewesen wäre, könnte sie sich also nicht genau an ihn erinnern.«
    »Aber Mrs. Valentine ist nicht wie die meisten Menschen, wissen Sie...«, begann Jessie, brach dann aber ab, weil sie zu dem Schluß kam, daß der junge Mann vermutlich nichts von den hellseherischen Kräften ihrer Arbeitgeberin hören wollte. Die Schulmedizin stand derlei Fähigkeiten bekanntlich ausgesprochen ablehnend gegenüber. »Ist ja auch egal. Vielen Dank, Doktor. Wiedersehen.«
    Jessie machte auf dem Absatz kehrt und eilte zu den Aufzügen. In Gedanken war sie schon ganz bei den neuen Aufgaben, die sie im Büro erwarteten. Mit einer unbewußten, gewohnheitsmäßigen Geste hob sie die Hand, um sich eine Strähne ihres glänzenden, tiefschwarzen Haars hinter das Ohr zu schieben. Sie trug es glatt und im kurzen Pagenschnitt, der knapp unterhalb ihrer hohen Wangenknochen endete. Der lange, dichte Pony umrahmte ihre etwas schräggestellten grünen Augen, betonte ihre zarten Gesichtszüge und verlieh ihr ein leicht exotisches, fast katzenhaftes Aussehen.
    Der Eindruck des Katzenhaften wurde noch verstärkt durch ihre schlanke Gestalt, die voll quicklebendiger Energie und Tatkraft schien, wenn sie sich bewegte, aber von entspannter Sinnlichkeit war, wenn sie es sich zum Beispiel in einem Sessel bequem machte. Die schwarzen Jeans, schwarzen Stiefel und das weit gebauschte weiße Hemd, das Jessie heute anhatte, trugen das ihrige dazu bei.
    Ungeduldig runzelte sie die Stirn, während sie darauf wartete, daß der Aufzug die Halle erreichte. Jetzt, da sie für eine Weile die Leitung von Valentine Consultations innehatte, gab es eine Menge zu tun. Und als erstes würde sie eine bereits getroffene Verabredung absagen.
    Der Gedanke daran ließ sie einerseits erleichtert aufatmen, barg aber auch ein Quentchen Enttäuschung. Für heute abend war sie aus dem Schneider.
    Aber gleichzeitig war sie sich nicht sicher, ob sie das auch wirklich sein wollte.
    Mit diesen widerstreitenden Gefühlen hatte sie in letzter Zeit häufiger zu kämpfen. Und ihre Intuition sagte ihr, daß es nicht besser, sondern sogar immer schlimmer werden würde - solange, bis Sam Hatchard aus ihrem Leben verschwunden war.
    Jessie ging mit raschen Schritten die Straße entlang; die Absätze ihrer Stiefel verursachten ein gleichmäßiges Klick-klack auf dem Trottoir. Es war ein wunderschöner Spätfrühlingstag -man mußte nur den gelblichen Schleier ignorieren, der über Seattle lag. Smog war etwas, worüber man in dieser ansonsten wunderschönen, lebendigen Stadt besser nicht sprach. Man zog es vor, ihn zu ignorieren und redete lieber über den seltenen Sonnenschein. Schließlich würde der Smog ja auch bald wieder verschwinden, fortgewaschen vom nächsten Regenschauer -auf den man in Seattle nie lange warten mußte.
    Die Bäume, die den Gehsteig in gleichmäßigen Abständen säumten, bildeten ein geschlossenes maigrünes Blätterdach. Vor der glitzernden Elliott Bay erstreckte sich die rasch wachsende, von immer mehr Wolkenkratzern geprägte Skyline der Stadt. Klein wie Spielzeugboote glitten Fähren und Tanker über die tiefblauen Wasser der Bucht. Im Hintergrund konnte Jessie die im Dunst liegenden zerklüfteten Gipfel der Olympic Mountains ausmachen.
    Der strahlenden Helligkeit wegen kniff Jessie die Augen zusammen, griff in ihre schwarze Umhängetasche und holte eine dunkle Sonnenbrille heraus. So strahlend sonnige Tage wie dieser waren hier im Nordwesten der Vereinigten Staaten irgendwie beunruhigend.
    Jessie brauchte gute zwanzig Minuten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher