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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du
Autoren: Laura Wulff
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Ben einen ebenso hohen Einsatz. Oder führten die Koordinaten absichtlich zu nichts? Was sollte es dem Spielleiter bringen, ihn hinters Licht zu führen?
    Fieberhaft dachte Benjamin nach, ob es einen Trick bei dieser modernen Form der Schnitzeljagd gab, den er nicht kannte, ob der Patron etwas von ihm erwartete, das ihm nicht klar war. Leider fiel ihm nichts ein.
    Deprimiert knabberte er an der Innenseite seiner Wange. Er war unzufrieden mit sich selbst. Noch schlimmer war allerdings, seinen Bekannten zu enttäuschen. Der Gamemaster setzte große Stücke auf ihn, hatte er im Chat wortwörtlich so geschrieben, das hatte noch niemand zu ihm gesagt. Er behandelte Ben wie einen Erwachsenen, nicht wie ein Kind oder einen Schüler, sondern gleichwertig. Und nun hatte Benjamin versagt!
    Würde der Patron ihn rauswerfen? Was sollte Ben nur ohne den Wettkampf gegen ihn machen? Er wollte weiterspielen, er brauchte den Nervenkitzel, weil GeoGod ihn von der schrecklichen Erinnerung an den Vorfall im letzten Jahr, der ihn quälte und zermürbte, ablenkte.
    Heute war wirklich nicht sein Tag.
    Mit dem Bus fuhr er von Deutz zurück nach Nippes. Sein Vater hatte versprochen, ihm einen gebrauchten Kleinwagen zu kaufen, sobald er endlich seinen Führerschein gemacht hatte. Aber bisher hatte Benjamin keine einzige Stunde Unterricht genommen. Wozu brauchte man in Köln ein Auto? Irgendwann, sagte er sich, aber nicht jetzt. Genauso wenig wusste er, was er nach der Schule machen sollte. Seine Mitschüler bewarben sich längst. Er dagegen hing lieber mit Maik und Denis rum. Erwachsen war man noch den Rest seines Lebens. Da genoss er doch lieber seine Freiheit, solange er konnte.
    Als er nach Hause kam, legte seine Mutter das Buch, das sie gerade las, auf den Wohnzimmertisch und stand von der Couch auf. „Du warst nicht zum Essen da.“
    „Ich musste was erledigen.“ Er beeilte sich, an ihr vorbeizukommen.
    „Aber du kannst doch nicht ohne Abendbrot ins Bett gehen.“
    Er hasste es, wenn sie ihn durch die Wohnung verfolgte. Dann fühlte er sich bedrängt. Über seine Schulter hinweg sagte er: „Ich habe keinen Hunger.“
    „Du bist doch schon so dünn.“ Sie blieb vor dem Bad, in dem das Wasser der Dusche rauschte, stehen, als erwartete sie Unterstützung von ihrem Ehemann, aber dieser kam nicht heraus.
    Ben wusste ja, dass sie sich um ihn sorgte, aber er war seit einem Monat achtzehn, ging in die zwölfte Klasse des Leonardo-da-Vinci-Gymnasiums in Nippes und konnte auf sich selbst aufpassen. Meistens zumindest. „Ich habe unterwegs etwas gegessen“, log er.
    Impulsiv warf er ihr die Zimmertür vor der Nase zu. Sogleich bekam er ein schlechtes Gewissen. Er liebte seine Ma, aber diese Bevormundung ging ihm gehörig auf die Nerven.
    Noch während er seinen Pullover abstreifte, fuhr er seinen Computer hoch. Das Cap rutschte beim Ausziehen vom Kopf und flog auf den Boden, er ließ es liegen. Schweiß lief seinen Rücken hinab. Ihm war heiß, aber er hatte auch Angst davor, GeoGod seine Niederlage zu gestehen. Ben fürchtete sich nicht vor ihm, sondern vor seiner Schelte. Sie traten zwar gegeneinander an, aber im Grunde betrachtete er den Gamemaster als Freund. Der Unbekannte war interessant, geheimnisvoll, schien über den Dingen zu stehen und die Fäden stets fest in der Hand zu halten.
    Er hatte alles, was Ben nicht hatte. Er war alles, was Ben gerne wäre. Ja, er bewunderte ihn sogar. Aber täte er das auch, wenn der Patron vor ihm stände? Womöglich war er in Wirklichkeit gar nicht so cool, sondern ein Kerl mit Strickpullunder und Hornbrille. Oder ein Bulle wie Daniel. Oder aber einer von den Psychopathen, die Daniel vor seinem schrecklichen Unfall gejagt hatte.
    Pulli, Smartphone, Notizheft und den Ausdruck mit den Daten, die er von GeoGod bekommen hatte, warf er auf sein Bett. Als er sich vor seinen PC setzte, drückte sein Portemonnaie in der Gesäßtasche. Er nahm es heraus und knallte es auf den Tisch neben der Tastatur.
    Nervös rief er die Website auf und wählte sich mit dem Passwort, das er vom Spielführer exklusiv erhalten hatte, ein. Auf der Plattform benutzte er den Namen „Indy“, weil er sich wie Indiana Jones vorkam, der Schätze aufspürte. Er suchte sofort den Chat auf, machte sich bemerkbar und wartete.
    Inzwischen war es vor seinem Fenster so dunkel, dass er die Tischlampe anknipsen musste. Er sah sein Spiegelbild auf dem Bildschirm. Aufgeregt wuschelte er durch seine blonden Haare, die er etwas länger trug,
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