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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du
Autoren: Laura Wulff
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daher verspürte er keinen Wunsch, das zu wiederholen.
    Obwohl er ein Wunschkind gewesen war, hatte seine Mutter nach seiner Geburt an einer Wochenbettdepression gelitten. Sie sprach nie mit ihm darüber, aber Ben hatte mitbekommen, wie sie zu Marie gemeint hatte, dass sie unter einer postnatalen Psychose litt, weil ihre Eltern, die von ihr erwartet hatten, dass sie Karriere machte, von der frühen Niederkunft enttäuscht waren. In den ersten Wochen hatte sie ihn als Säugling nicht einmal in den Arm nehmen können. Ihr schlechtes Gewissen, ihn ausgerechnet in den ersten prägenden Wochen seines jungen Lebens im Stich gelassen zu haben, war so groß, dass sie ihre Stelle als Filialleiterin eines exklusiven Küchenfachgeschäfts aufgab, um sich ausschließlich um ihn zu kümmern.
    Seitdem klebte sie an ihm wie eine Klette.
    Sie meinte es gut, keine Frage. Aber weil sie ständig hinter ihm her war, reagierte er automatisch trotzig. Er wollte das nicht, es passierte von selbst. Inzwischen arbeitete sie an drei Vormittagen in der Woche in einem Laden für Geschenkartikel auf der Hohen Straße. Pünktlich wenn er aus der Schule kam, war sie wieder daheim.
    Sein Vater war ganz anders und nahm ihn in Schutz, sie solle ihn doch einfach machen lassen, er würde schon seinen Weg gehen. Für einen Geschäftsmann war er ein ungewöhnlich gemütlicher Typ. Als Versicherungsmakler für Konzerne war er oft unterwegs. Aber wenn er zu Hause war, legte er die Füße hoch. Er besaß keine Hobbys wie Tennis oder Golfen, nur um Business-Kontakte zu pflegen, sondern sagte, dass seine Freizeit ihm gehöre. Für ihn waren Benjamins Noten völlig okay. Hauptsache, Ben bestand sein Abitur irgendwie.
    Zurzeit fiel er allerdings ab. In Englisch hatte er eine Vier geschrieben und in der Matheklausur würde er auch nicht gut abschneiden. Er interessierte sich halt mehr für Geocaching, nein, eigentlich mehr für das Spiel mit dem geheimnisvollen Fremden, der ihn lenkte und Orte in Köln zeigte, die Benjamin sonst nie gesehen hätte.
    Dank ihm erlebte er Abenteuer! Er kam sich vor wie ein Spion, wie ein Geheimagent, der einen Auftrag erfüllte, ohne dass jemand es mitbekam. Schlau, gewitzt und lautlos. Das war viel spannender, als zu büffeln oder im Internet zu zocken. Das war real! Echte Mutproben eben.
    Illegal, aber er tat ja niemandem weh. Er stahl dort, wo er einstieg, ja nichts, sondern entnahm nur dem Cache eine Trophäe.
    Allerdings fragte er sich jetzt, da er die Gegend nach der Schatzkiste absuchte, woher die Dinge, die sich darin befanden, stammten. Es schienen ebenfalls persönliche Sachen zu sein. Etwa von anderen Mitspielern? Oder vom Gamemaster selbst?
    Plötzlich hörte er Schritte in seiner Nähe. Er schaute sich aufgeregt um, sah den Besitzer des Schrottplatzes aber nirgends. Angestrengt horchte er.
    Walter Kaspar musste sich unmittelbar hinter den Autos befinden. Er war ein Schrank, eine Kante von einem Typ. Ben wollte ihm lieber nicht begegnen.
    Sand knirschte unter fremden Schuhsohlen. Kaspar kam näher. Der Schrotthändler konnte jeden Moment um die Ecke kommen und ihn erwischen. Er war bestimmt nicht der Typ, der die Polizei rief, sondern regelte die Dinge sicherlich selbst.
    Hektisch sah Benjamin sich um. Er musste sich verstecken, denn um zum Zaun zurückzulaufen, war es zu spät. Ihm fiel nur eine Lösung ein, aber die behagte ihm ganz und gar nicht.
    Nachdenklich kaute er auf seiner Unterlippe herum, dann gab er sich einen Ruck und kroch in ein Autowrack hinein, das keine Türen mehr hatte. Es lag auf dem Dach, darüber türmten sich die Überreste anderer Fahrzeuge. Diese wackelten zwar nicht, dennoch hatte Ben Angst, dass der Schrott über ihm zusammenbrechen und ihn begraben könnte.
    Würde ihn das Altmetall zerquetschen? Hätte sein Smartphone darunter Netzempfang, um sofort Hilfe zu rufen? Oder bekäme er noch ausreichend Luft, um bis zum Morgen auszuharren?
    Aber neben all diesen Fragen beschäftigte ihn eine am meisten. Warum setzte GeoGod ihn diesen Gefahren aus?
    Er könnte verhaftet oder in diesem Fall verletzt werden. Gab dieses Risiko dem Patron einen Kick? Oder gehörten die Gartenlaube und der Keller, in die Ben eingestiegen war, Freunden von ihm und er selbst und Kaspar waren ein und dieselbe Person?
    Als der Lichtkegel einer Taschenlampe den Weg vor ihm ausleuchtete, zog sich Benjamin noch weiter in das Wrack zurück. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Seine Schultern schmerzten, da er den Kopf
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