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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
Autoren: Maggie Shipstead
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Erste-Hilfe-Ausrüstung der Familie auf und schälte Winn die Überreste seines Verbands vom Bein. Um die Wunde standen die zerrissenen Fäden ab wie Wimpern.
    »Wenn Sam Snead hier wäre«, sagte sie, »würde sie Nadel und Faden holen und dich eigenhändig wieder vernähen.«
    »Sie würde einen Angelhaken dazu nehmen«, sagte Winn.
    Biddy hielt die Flasche mit dem Desinfektionsmittel hoch. »Bist du bereit?«
    Er biss die Zähne zusammen, während sie die Wunde besprühte. »Meiner Ansicht nach ist sie schuld, weißt du. Sie hat mir vor dem Essen Tabletten gegeben.«
    »Was für Tabletten?«
    »Keine Ahnung. Etwas, um die Aufregung zu dämpfen.«
    »Aber du hast die Tablette genommen, nicht sie.«
    »Ich habe nur eine genommen.«
    »Und«, fuhr Biddy fort, »du hast die Tablette mit ein paar Flaschen Wein runtergespült, nicht sie. Und du hast eine nihilistische Tischrede gehalten. Und bist mutwillig in ein fremdes Haus eingedrungen, während du angeblich ein junges Mädchen in die Notaufnahme fahren wolltest.« Sie entfernte das Papier von einem Schmetterlingspflaster, drückte seine Wunde so gut zusammen wie sie konnte und klebte es auf die Haut. »Ich würde dich noch jetzt in die Klinik schicken und dafür sorgen, dass du auch tatsächlich da ankommst, aber ich glaube, es ist das Beste, wenn wir erstmal schlafen gehen. Du wirst morgen früh hinfahren müssen – oder zwischen der Trauung und dem Empfang. Du wirst es überleben. Vielleicht wird deine Narbe hässlicher, aber daran bist du selbst schuld.« Biddy klebte ein zweites Schmetterlingspflaster auf, umwickelte sein Bein mit einer Mullbinde und sicherte den Verband mit Leukoplast. Sie hatte stundenlang auf dem Sofa gesessen und darüber nachgedacht, was sie sagen sollte. Jetzt schnitt sie das Leukoplast ab und lehnte sich zurück. »Einer der Gründe, warum ich dich geheiratet habe, ist, dass ich glaubte, du würdest mich mit Überraschungen verschonen. Ich muss sagen, ich bin nicht glücklich, dass du nach all diesen Jahren beschlossen hast, ein wandelndes Pulverfass zu werden. Das war so nicht vorgesehen. Ich habe von dir nie erwartet, dass du vollkommen bist, aber ich habe erwartet,dass deine Unvollkommenheiten berechenbar sind. Ich bin Realistin. Ich war schon immer eine Realistin.«
    »Biddy.« Er beugte sich in ihre Richtung, und zuerst dachte sie, er wollte sie küssen, doch dann ging ihr auf, dass er nur versuchte, in ihrer Miene zu lesen. Ohne seine Brille war er so blind wie ein Maulwurf.
    Sie wandte sich ab und packte das Verbandszeug wieder ein. »Ab ins Bett.«
    »Biddy«, sagte er widerstrebend. »Ich muss dir was sagen.«
    Sie ließ den Verbandskasten zuschnappen. »Ich will es nicht hören«, sagte sie bestimmt. »Warte bis nach der Hochzeit. Oder nein. Sag es mir nie, Winn. Ich will nicht ins Dorf der Wahrheitsager ziehen. Ich will nicht wissen, was heute Abend war. Ich will nichts über die Vergangenheit wissen. Nichts. Ich habe diese Dinge noch nie wissen wollen. Wie gesagt, ich bin eine Realistin.«
    Er runzelte die Stirn und schüttelte verwirrt den Kopf. Sie fragte sich, ob er bei seinem Sturz eine Gehirnerschütterung erlitten hatte oder ob er noch vom Alkohol und den Tabletten benebelt war. Eigentlich hatte sie sich doch deutlich genug ausgedrückt. »Biddy«, sagte er. Er griff nach ihrem Kinn und näherte sein Gesicht so dem ihren, dass sich ihre Nasen fast berührten.
    »Nein«, sagte sie und wich ihm aus. »Ich werde ein Auge zudrücken, Winn. Aber du musst mir Zeit geben.«
    »Du willst ein Auge zudrücken?«
    Sie sprach langsam und wünschte sich, er hätte sich nicht ausgerechnet diese Nacht für eine Generalbeichte ausgesucht. Sie wollte Daphnes Hochzeit genießen. Alle sollten einen schönen Tag erleben. »Du hast gesagt, du willst in dieKlinik fahren. Aber stattdessen bist du mit Agatha zur Baustelle gefahren. Ich frage dich nicht, warum. Was hättest du gemacht, wenn ich einfach so mit einem Mann abgehauen wäre?«
    »Das würdest du niemals tun.«
    »Ich weiß ..., du kannst es dir nicht einmal vorstellen. Ich habe meine Entschlüsse diesbezüglich vor Urzeiten gefasst. Ich kann mich nicht erinnern, je Unmögliches von dir verlangt zu haben. Ich glaube nicht, dass ich Dinge verlangt habe, die – wie hast du das ausgedrückt? – nur von Gott zu verlangen wären. Aber das heißt nicht, dass ich darüber reden will. Ich will, dass du ins Bett gehst.«
    Er lehnte sich zurück, und ihm schien ein Licht aufzugehen. »Du
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