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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
Autoren: Maggie Shipstead
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Hose zerrissen, nun drangen tausend Splitter ein und schürften seine Haut auf. Trotzdem trug ihn die finstere Gewissheit, dass die Wetterfahne ein Gegner war, dem er es zeigen musste, unbeirrt weiter durch den Regen. Doch als er sie endlich erreichte, zeigte sich, dass sie nichts weiter war als ein kaltes Gebilde aus Kupferelementen, das größer war als vom Boden her geahnt und jedes Mal laut quietschte, wenn es wendete, um den geringen Winkel von Steuerbord nach Backbord und umgekehrt zurückzulegen.Allmählich begann ihm die Sinnlosigkeit seines Unterfanges aufzugehen; die Erkenntnis vollzog sich im gleichen Tempo wie die Durchnässung seiner Kleider –, aber er hatte die Sache nun einmal angefangen, und würde sie bei Gott auch zu Ende bringen. Er betastete den Sockel der Wetterfahne auf der kleinen Kuppel. Seine Finger entdeckten drei kleine Schraubbolzen, drei kalte, glitschige Achtecke, mit denen Fenns unmöglicher Dachschmuck an seinem unmöglichen Haus befestigt waren. Einer der Bolzen war locker; Winn drehte ihn heraus und warf ihn der Taschenlampe hinterher. Die anderen beiden ließen sich nicht bewegen. Er drehte an dem nassen Metall herum, bis seine Finger wund waren. Die Zeit für die letzte Attacke, die letzte große Anstrengung war gekommen. Er presste die Füße beidseits des Firsts schräg an das Dach und richtete sich o-beinig auf. Seine Hose klatschte ihm um die Beine. In dieser Haltung griff er nach dem Rumpf der Wetterfahne und drückte gegen das kalte, glatte Kupfer. Die Schweißnaht riss ein – nur ein kleines Stück weit, aber immerhin. Das Schiff hing schräg. Selbst die stolze nautische Krone des Hauses war nur mit Speichel angeklebt. Triumphierend suchte Winn nach einem besseren Halt, indem er die Finger in den festen Draht des Takelwerks wand. Vorsichtig schob er die Füße hoch, bis er aufrecht auf dem First balancierte. Agatha hatte aufgehört, nach ihm zu rufen. »Er ist nicht steif«, hörte er sie mit geringschätziger Stimme sagen, und seine Konzentration ließ ausgerechnet in der Sekunde nach, als ihn eine Bö direkt von vorne traf. Er kippte nach hinten und warf sich zum Ausgleich mit zu viel Kraft nach vorne. Noch immer mit der Wetterfahne verklammert, landete er mit dem Brustkorb auf der Kuppel, während seine Beine an den nassen, steil geneigten Schindelnauf der Stelle liefen. Ein metallisches Reißen. Winn rutschte ein Stück nach hinten, als die Wetterfahne auf ihn zukippte, bis der Bug senkrecht in die Tiefe zeigte und die Masten waagerecht standen. Aber noch hielten die Schweißnähte, und Winn grapschte mit den Fingern nach glitschigen Segeln und Takelagedrähten, um noch einmal besseren Halt zu finden. Er ließ mit der rechten Hand los, und zog sich mit dem Arm wieder so nahe an die Dachspitze, dass er den glatten Schiffsrumpf zu fassen bekam. Den hakte er unter seinen Arm. Einen Augenblick lang fühlte er sich gerettet. Dann hörte er abermals ein Reißen, und mit einem Ruck löste sich das ganze verfluchte Schiff aus der Halterung. Winn hielt es plötzlich ganz in den Armen wie ein scharfkantiges Baby aus Kupfer, und dann, eine erste Rolle, und er rutschte abwärts.
    Er hörte sich schreien. Als er gegen die erste Gaube schlug und in einem neuen, schiefen Winkel weiterrutschte, gelang es ihm, die Wetterfahne in hohem Bogen von sich zu werfen. Sie verschwand, als hätte es sie nie gegeben. Er versuchte, sich in die Schindeln zu krallen, schaffte es, seinen Fall ein wenig zu bremsen und kam wie durch ein Wunder an einem Mansardenbogen zum Halt. Doch die Erschöpfung lockerte gnadenlos rasch seinen Griff, und er rutschte und rutschte, bis er schließlich, nach kurzem Baumeln an einer Regenrinne, im freien Fall durch die Luft segelte.

17 · Der versehrte König
    D aphne weinte noch immer. Dominique saß neben ihr auf dem Bett und beobachtete, wie ihr schwangerer Bauch bei jedem Luftholen bebte. Piper hockte auf einer Schiffstruhe am Fenster, die Arme um die Knie geschlungen. »Warum weinst du?«, fragte sie zum dritten Mal mit kleinlauter Stimme.
    »Ich weiß nicht«, sagte Daphne, ebenfalls zum dritten Mal. Sie atmete tief ein. »Mich hat bloß auf einmal alles eingeholt.«
    »Das ist okay«, sagte Dominique. »Wein ruhig.«
    »Nein«, sagte Daphne. »Ich muss aufhören. Sonst sind meine Augen morgen ganz geschwollen, und ich werde jedes Mal, wenn ich die Bilder angucke, daran denken, dass ich geweint habe.«
    Piper zog die Knie näher zu sich heran und legte ihr Kinn
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