Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
Autoren: Maggie Shipstead
Vom Netzwerk:
Mund.
    »Was?« Sie zog den Kopf weg.
    »Nichts. Alles gut.«
    »Sicher?«
    »Ja.«
    »Echt?«
    »Wieso?«
    »Hmm, er ist nicht hart.«
    Sie hatte recht. Er war weich und schlaff. In seinem Hirn hatten alle Anzeichen der Erregung getobt, aber offenbar war die Botschaft auf dem Weg in seinen Unterleib irgendwo stecken geblieben, in einer Flut von Alkohol ertrunken. »O Gott«, sagte er. »Ich hab’s nicht mal gemerkt.«
    Agatha versuchte sich unter ihm zu bewegen. Ihm ging auf, dass er mit vollem Gewicht auf ihr lag wie ein Sack. Er richtete sich halb auf. In seinem Gesicht zuckten noch die letzten Ausläufer seines Lachanfalls.
    »Vielleicht bist du einfach nicht für Seitensprünge gemacht«, sagte sie.
    »Dafür ist es ein bisschen spät.«
    »Na dann.« Mit einer geschickten Bewegung schob sie eine Hand zwischen ihre beiden Körper und öffnete seinen Gürtel. Er hatte sich noch nie von ihr berühren lassen – bisher hatte nur er sie berührt –, und als es nun endlich geschah, empfand er ihre Finger an seinem schlaffen Glied als entsetzlich fehlgeleitet, erniedrigend, ja grotesk. Er, ein verheirateter Mann kurz vor dem sechzigsten Geburtstag, lag auf dem Fußboden des im Bau befindlichen Strandhauses seines eingebildeten Todfeindes und ließ sich von einer Schulfreundin seiner Tochter einen runterholen. Ihm entrang sich ein Schluchzen.
    Agatha verstand das falsch. »Ja?«, sagte sie, »ja?«
    »Nein«, sagte er.
    Sie zog die Hand weg. »Was ist denn?«
    »Ich brauche Luft.« Er schnappte sich die Taschenlampe und eilte zu der Stiege, die er gesehen hatte, bevor er über die Kloschüssel gestolpert war. Die Sprossen rochen nach Harz und Sägeblatt. Er hatte von draußen keine Dachterrasse gesehen, aber es konnte für die Stiege keine andere Erklärung geben, und sie führte tatsächlich zu einer Luke aus Metall. Er musste raus aus dem Zimmer, in dem eines Tages Meg Fenn mit offenem Mund und ihrem schiefen Gang herumlatschen würde, in dem Ophelia Haviland ihre Gästebetten beziehen würde und in dem Livia vielleicht mit seinem Enkelkind Fangen gespielt hätte. Als er die Luke aufdrückte, fuhr ein Windstoß durch das Dachzimmer, ein Luftschwall. Winn zielte mit dem Lichtstrahl nach unten. Dort saß Agatha inmitten einer Wolke aus Sägespänen immer noch neben der Kloschüssel und schaute zu ihm hoch. Die Hand mit dem gebrochenen Finger lag in ihrem Schoß, dieandere hatte sie aufgestützt. Winn richtete den Strahl nach oben aus der Luke hinaus, wo er wie ein Suchscheinwerfer über die Wolken strich, und folgte ihm hinaus in den Sturm. Der Witwensteig lag auf der Seeseite des Hauses, von der Einfahrt durch die Spitzen und Gauben des Daches verdeckt. Über ihm quietschte es. Er suchte die Quelle des Geräuschs, und seine Taschenlampe fand die drei Masten und stolzen Kupfersegel von Jack Fenns Wetterfahne.
    Hinter einem dünnen Wolkenschleier schien blass der Mond und trat dann, als der Wind ein Loch riss, als strahlend helle, vollendete Kugel hervor, auf deren Antlitz Berge und Krater eine gramvolle Miene zeichneten. Das Meer war in dem bleichen Licht ein verwirrendes Schaumgebilde, und die Muschelauffahrt, von der er nur das äußerste Ende sehen konnte, leuchtete auf wie ein Weg in den Himmel, weiß und breit und schimmernd. Doch die Wolken schlossen sich wieder und der Mond verschwand, so dass nur Finsternis und das Rauschen der Brandung blieben. Der Wind zerrte an seinen Wangen. Er schloss die Augen. Wie unfair, dass ihm sogar der Ehebruch misslang. Dass er seine Sünde nicht vollzogen hatte, war ein bedeutungsloses Detail. Es minderte seine Schuld kein bisschen, aber seine Freude umso mehr, und wie er so auf diesem gottverlassenen, windgepeitschten Horst stand und sich festhielt, konnte er sich nicht vorstellen, dass er es je verwinden würde. Die Wetterfahne quietschte. Er leuchtete sie erneut an. Sie drehte sich langsam im Halbkreis, bremste abrupt und bewegte sich dann in die umgekehrte Richtung. Ohne nachzudenken schwang er ein Bein über das Geländer auf das steile Dach und begann zu klettern.Der Wal war, seitdem Livia ihn zuletzt gesehen hatte, zu einem grausigen, verwüsteten Etwas verkommen. Von einer niedrigen Düne, die von der Flut nicht erreicht wurde, warfen zwei generatorenbetriebene Lampen auf hohen Metallstäben ihr Licht über den Strand. Die Rippen des Wals leuchteten weiß vor schwarzen, fleischigen Höhlen. Der Kiefer war herausoperiert, und der größte Teil des Specks abgetragen und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher