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Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Titel: Leichentücher: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Marko Hautala
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zügigen Schritten, denn anders hätte wohl keiner einen Fuß vor den anderen setzen können.
    »Jetzt haben wir endlich auch das Töten ausprobiert«, flüsterte einer und lachte auf. Die Schüsse des Nachtrupps knallten.
    Olavi senkte das Gewehr. Er blickte sich um und sah die Uniformen, die schief sitzenden Helme, den Rauch, der wie Bleinebelaus den Waffen gequollen war, die aus den Bäumen auffliegenden Vogelschwärme, das graue Licht des Vormittags. Die nächsten Schüsse des Nachtrupps fielen, zwei vom Erdloch gedämpfte Detonationen. Der Rand der Grube war fast leer, nur einige Bündel lagen noch da, ein Haufen leer geschossener Stoff.
    Olavi spürte seine Finger nicht mehr. Er musste nachsehen, ob er das Gewehr noch in der Hand hatte oder ob es durch die Finger in das feuchte Dickicht geglitten war. In seinen Augen brannte ein roter Punkt, der blieb und wuchs, so heftig er auch blinzelte. Die Leute vom Nachtrupp kehrten von der Grube zurück und reihten sich ein, als hätten sie es eilig. Sie sahen nicht, dass hinter ihnen etwas Kümmerliches zurückblieb, das sich käglich bewegte. Olavi wollte schreien, ihnen befehlen, sich umzuschauen, doch er konnte den Mund nicht öffnen.
    Die erste Katze kletterte mühsam herauf.
    Ihre Krallen kratzten über die Mooshöcker, ihre Augen waren vor Angst fast schwarz, als sie sich über den Grubenrand kämpfte. Jede Bewegung verriet, dass sie beschlossen hatte, am Leben festzuhalten, sie zögerte nicht, ließ sich nicht eine Sekunde von all dem Tod lähmen.
    Dann kam die zweite. Die dritte. Die vierte.
    Jemand lachte. Olavi begriff zuerst nicht, dass er es war. Ein mit Weinen durchsetztes Lachen.
    Haarige kleine Wesen, so leise und unauffällig, dass man sie für Mooshöcker hätte halten können. Manche rutschten in die Grube zurück, doch keine gab auf. Die Krallen suchten Halt in der Erde, zogen den sehnigen Leib hoch. Die gefleckten Körper kamen zum Vorschein, verschwanden dann zwischen den Bäumen, liefen ins Unterholz, ins Leben.
    Olavi betrachtete die Katzen und den blassroten Fleck, der bei jedem Lidschlag zuckte und schließlich mit den Katzen hinter den Baumstämmen verschwand.
    Das Gewehr fiel auf die Erde, zu der Herz Acht. Olavi hörteStimmen um sich herum, sah die Menschen aber nicht. Er konnte auf ihre Fragen nicht antworten, denn er war eine stumme Statue.

DER VOGEL

45
    Mikael war nicht dabei gewesen, als Saana starb.
    Er hatte gesehen, wie sie an Gewicht verlor, wie die verborgenen Formen der Knochen unter die Haut stiegen, die blauen Adern hervordrückten, die Brüste leerten, Saana unter seiner Berührung hart machten. Ihre Verbindung wurde schwächer, zuerst von Woche zu Woche, dann von Tag zu Tag. Als das Sprechen aufhörte, saß Mikael nur da und wartete auf den schwachen Druck der Finger um seine Hand.
    Er wusste nicht, ob Saana ganz zum Schluss etwas gesagt hatte. Wahrscheinlich nicht, denn sie hatte immer mehr Morphium bekommen. Saana hatte Mikael beschworen, dafür zu sorgen, dass man sie nicht leiden ließ. Er hatte der jungen Krankenschwester geholfen, die durch die Krankheit geschrumpfte Ader zu finden. Er hatte die Dosierung überwacht, den Ärzten zugesetzt, Saanas Bitte erfüllt, wie man eine Pflicht erledigt, von der man weiß, dass es die letzte ist, die vielleicht alte Versäumnisse wiedergutmachen kann.
    Als die Worte ausgeschöpft waren, wartete Mikael auf jede kleinste Regung und Geste und klammerte sich daran fest. Für ihn hatte Saanas letzte Botschaft darin bestanden, dass sie die linke Hand zum Fenster gehoben und auf irgendetwas am wolkenlosen Himmel der Erinnerungen gezeigt hatte. Der dünne Zeigefinger schaffte es kaum, sich zu strecken. Er schwankte in der Luft, ahmte die Bewegung von etwas Unsichtbarem nach.
    Mikael hatte die Botschaft damals nicht verstanden. Er sahnur die erhobene Hand, ihre hartnäckige, sinnlose Anstrengung, die Qual, von der er letztlich ausgeschlossen war.
    Mehr Schmerzmittel.
    Als es zu Ende war, bekam Mikael einen Anruf auf Station D. Er wusste schon Bescheid, als er die Miene des Kollegen sah, der ihn ans Telefon holte. Die Welt veränderte sich nicht, als die endgültigen Worte in elektrischen Impulsen aus dem acht Kilometer entfernten Krankenhaus an sein Ohr rauschten. Zwei Patienten hatten sich vor das Stationszimmer gestellt, als wüssten sie, worum es ging. Als Mikael herauskam, blickten die im Aufenthaltsraum versammelten Pfleger zu Boden, machten tastende Schritte wie auf dünnem Eis. Mikael
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