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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena
Autoren: Weiss wie die Unschuld
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urplötzlich eingesetzt, vielleicht hatte Elina auf einmal gemerkt, dass ihre Beine sie nicht mehr trugen. Ich wollte nicht an die Kälte denken, die sie eingehüllt hatte, und schon gar nicht daran, was ihr durch den Kopf gegangen sein mochte, als sie hinter Niina in die kalte Nacht hinauslief.
    Es schien jedenfalls klar zu sein, dass Niina nicht beabsichtigt hatte, Elina zu töten. Die Anklage würde höchstens auf unterlas-sene Hilfeleistung lauten, in Airas Fall auf Körperverletzung oder versuchten Totschlag. Aira hatte Niina an dem Tag des Überfalls angerufen und sie gebeten, am Abend nach Rosberga zu kommen. Sie hatte ihr sagen wollen, dass sie Bescheid wusste und Niina helfen wollte, doch bevor sie ein Wort herausbrachte, schlug Niina, die am Tor gewartet hatte, sie mit der Bärenstatue nieder. Auch das hatte sie ihrer Darstellung nach aus einem plötzlichen Impuls heraus getan, um Zeit zu gewinnen.
    »Ich glaube, wir sollten jetzt gehen«, sagte Taskinen schließ-
    lich. »Fräulein Kuusinen kommt mit uns, alle anderen werden wir später noch einmal vernehmen.«
    »Bringen Sie mich ins Gefängnis?«, fragte Niina kraftlos. Als niemand antwortete, begann sie wieder zu schluchzen. Pertsa warf Taskinen einen gequälten Blick zu. Ich machte einen Schritt auf Niina zu, doch Johanna, die die ganze Zeit geschwie-gen hatte, kam mir zuvor. Sie legte Niina den Arm um die Schultern, beruhigte sie, sprach mit ihr wie mit einem kleinen Kind. Nach einigen Minuten hatte Niina sich so weit gefasst, dass wir sie bitten konnten, ihre Sachen zu packen und mitzukommen. Tarja versprach, ihr einen Anwalt zu besorgen, Milla und Kirstilä beschworen uns, Niina anständig zu behandeln.
    Niina selbst sagte kein Wort, reagierte kaum, als die anderen sich von ihr verabschiedeten, auch im Auto saß sie schweigend neben mir. Ich wusste nicht, was ich von ihr halten sollte.
    Woher kam dieser maßlose Hass auf Elina? War es nur ein Schutzmechanismus, mit dem sie ihre Taten vor sich selbst zu rechtfertigen suchte?
    An der Einmündung in die Nuuksiontie musste Pertsa anhalten, weil er wegen des lebhaften Verkehrs nicht gleich nach links abbiegen konnte. In dem Moment handelte Niina. Sie hatte den Sicherheitsgurt gar nicht erst angelegt, und jetzt war sie im Nu draußen und rannte auf das Seeufer zu.
    Taskinen und ich waren routinierte Läufer, hätten Niina also mühelos einholen müssen. Doch die Kleidung behinderte uns.
    Ich trug immer noch das enge Beerdigungskleid unter einem langen Wintermantel, Taskinen hatte schwarze Halbschuhe mit glatten Sohlen an, die eher für den Sommer geeignet waren. Er kam schon bei den ersten Schritten ins Rutschen und landete mitten auf der Straße. Als wir endlich Tempo gewannen, rannte Niina bereits über den zugefrorenen See.
    Pertsa rief uns etwas zu, dann heulte der Motor des Dienstwagens auf. Offensichtlich wollte er in die Richtung fahren, die Niina eingeschlagen hatte, um sie abzufangen. Ich hob beim Laufen den Rocksaum, Taskinen rutschte wieder aus. Niina war kaum noch zu sehen, eine kleine schwarze Gestalt, die in der Dunkelheit fast verschwand.

    »Was glaubt sie damit zu erreichen? Sie kommt doch nirgends hin«, keuchte ich.
    »So weit denkt sie bestimmt nicht«, schnaufte Taskinen.
    »Vielleicht bildet sie sich ein, sie könnte uns im Dunkeln abhängen. Hoppla!« Beinahe wäre er über ein kleines Loch gestolpert, das jemand zum Eisangeln gebohrt hatte. »Hoffentlich gibt es hier keine größeren Löcher.«
    Im Licht, das vom Ufer her auf den See fiel, zeichnete sich Niina jetzt als scharfer Schatten ab. Sie war langsamer geworden und schien nach einer Stelle zu suchen, wo sie ans Ufer klettern konnte. In Taskinens Manteltasche klingelte das Handy, es war Pertsa, der uns mitteilte, er sei kurz vor Soivalla aufs Eis gegangen und habe Verstärkung angefordert. An einer Uferbie-gung, weit hinter Niina, blinkte plötzlich Pertsas Taschenlampe auf.
    »Wir können dich und die Kuusinen sehen«, keuchte Taskinen ins Handy. »Immer mit der Ruhe jetzt, das Mädchen kann uns nicht gefährlich werden. Das Wichtigste ist, sie zu schnappen, bevor sie sich etwas antut.«
    Das Eis unter meinen Füßen knirschte beängstigend, ich fuhr zusammen. So spät im Winter hätte die Eisdecke eigentlich fest sein müssen, ich hatte keine Sekunde an ihrer Tragfähigkeit gezweifelt. Wir waren bereits so nah an Niina herangekommen, dass ich ihr zurief:
    »Warte doch, Niina! Es ist sinnlos, wegzulaufen! Du machst es nur
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