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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer
Autoren: Markus Orths
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Angst, Jammer, Schein und Lüge. Die Lüge, sagte er gleich zu Beginn, das solle ich verinnerlichen, sei das Elixier der Schule. Jeder hier an der Schule lüge. Er, der Direktor, zuallererst. Nichts von dem, was er sage, müsse zwangsläufig der Wahrheit entsprechen, nie, sagte er, könne ich mir sicher sein, dass er das, was er verspreche, auch halte. Ein von ihm gegebenes Versprechen sei kein Versprechen im eigentlichen Sinne, oft genug seien Lehrer zu ihm ins Direktorat gekrochen und hätten zu ihm aufschauend gebettelt: Aber Sie haben es doch versprochen! Er aber, der Direktor, rücke dann in steter Regelmäßigkeit mit einem schon berüchtigt gewordenen Wortspiel dem armen, im Staub des Direktionszimmers liegenden Lehrer zu Leibe, indem er sich der Doppeldeutigkeit des Wortes versprechen bediene und so tue, als wisse er von nichts. Die Backen des Direktors blähten sich. Ob ich ihm folgen könne? fragte er. Ich nickte. Und ich könne nur überleben, fuhr der Direktor fort, wenn ich mich dem hier üblichen System der Lüge anschlösse. Gesetzt den Fall, ich hätte eines Morgens keine Lust, zum Unterricht zu erscheinen, sei aber körperlich durchaus dazu in der Lage, was ich dann täte? Ich würde selbstverständlich kommen, sagte ich. Gut so, sagte der Direktor, ich würde schnell lernen: die erste Lüge. Nein, sagte er, ich hätte anzurufen und zu sagen, ich fühlte mich nicht wohl. Er aber, der am anderen Ende der Leitung sitze, würde ganz genau wissen, dass ich nicht die Wahrheit sagte. Aber das sei kein Problem für ihn. Er sähe darin, dass ich nicht die Wahrheit sagte, andere Qualitäten. Er sähe den guten Willen, den ich an den Tag legte, den guten Willen, mich dem System zu beugen, meine Bereitschaft, das Spiel mitzuspielen. Wehe aber, sagte er nun, ich würde bei der Wahrheit bleiben. Die Wahrheit sei ein offener Affront, eine Revolution, ein Schlag in seines, des Direktors, Gesicht. Die härtesten Maßnahmen hätte er zu treffen im Falle einer Wahrheitskonfrontation. Ob ich rauchen würde? fragte er mich nun. Mit einem schnellen Blick überflog ich den Schreibtisch, konnte keinen Aschenbecher ausmachen und verneinte. Da schnüffelte der Direktor misstrauisch und sagte, aber er rieche Rauch. Das müsse daran liegen, sagte ich, dass im Zug nur noch ein Platz im Raucherabteil frei gewesen sei. Also Nichtraucher? fragte der Direktor. Ja, sagte ich. Das sei gut so, er könne keine Raucher brauchen, er hasse Raucher. Dennoch habe er eine Raucherecke einrichten müssen, in seiner Schule. Er habe sie sinnigerweise neben die Müllcontainer platziert, aber noch nie habe sich ein Raucherlehrer über diese Nähe zu den stinkenden Containern beschwert. Die ließen eben alles mit sich machen, die Lehrer. Ja, man sei sogar so weit gegangen, regelmäßige Folterungen einzuführen, um herauszufinden, was so ein Lehrer auszuhalten in der Lage sei. Diese Folterungen fänden hier, im ERG , mittwochs in der sechsten Stunde statt. Ein jeder sei verpflichtet, den Folterungen beizuwohnen. Man bezeichne die Folterungen als Konferenzen. Nichts von dem, was er, der Direktor, während einer Konferenz sage, würde irgendeinen Sinn ergeben, die Lehrer aber seien trotzdem verpflichtet, so zu tun, als ergäbe es einen Sinn. Beispielsweise jene berühmten Diskussionen, die dort enden, wo sie begonnen haben. In der Direktorenausbildung lege man auf die Kunst der Kreisdiskussionsführung besonderen Wert. Er, der Direktor, habe lange an seiner Technik der Kreisdiskussionsführung gefeilt. Die wichtigste Regel dabei sei ziemlich simpel: Ende gleich Anfang. Am Ende der Diskussion stehe man genauso da wie am Anfang, nämlich ratlos. Und eigentlich müssten die Lehrer dann aufbegehren und sagen, was alle dächten: dass sich nichts geändert habe. Aber sie würden eher verrecken, die Lehrer, als sich zu melden, denn alle wollten nach Hause, allen ginge es nur darum, die Kreisdiskussion so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Und so recke einer von ihnen irgendwann beide Arme – ich müsse wissen, wer beide Arme recke, wolle nicht irgendeine gewöhnliche Belanglosigkeit von sich geben, nein, dazu bräuchte man nur eine einzige Hand zu heben, wer aber beide Arme recke, stelle einen Antrag zur Geschäftsordnung , meist gegen dreizehn Uhr dreißig, da, Achtung, zwei Arme, Herr Safft, Antrag zur Geschäftsordnung, ja? Herr Safft: Ob man über ein Beenden der Debatte abstimmen könne? Bei einem Antrag zur Geschäftsordnung müsse man
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