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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer
Autoren: Markus Orths
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Kranich.
    Ich: Das liegt daran, dass ich eben erst …
    Linnemann: Welche 10 ist es denn?
    Ich: 10d.
    Linnemann: Auch das noch.
    Ich: Was?
    Linnemann: Sie wissen, wer in der 10d sitzt?
    Ich: Der Sohn des Direktors?
    Linnemann: Höllinger, Horst.
    Ich: Horst?
    Linnemann: Hat schon zwei von uns auf dem Gewissen.
    Wir stiegen beide Arme voll Kopierpapier wieder hoch, kommen Sie, rief Linnemann, in fünf Minuten geht’s los, wir müssen uns beeilen, ich betrat mit den Papierpacken das Lehrerzimmer und konnte nicht auf die Lehrer achten, die rechts und links und vor und hinter mir unterwegs waren, ich folgte einfach Linnemann, hier entlang, rief er, da drüben steht der Kopierer, Papierstau, hörte ich eine Stimme vom Kopierer, noch dreieinhalb Minuten, rief jemand, Sie müssen Herr Kranich sein, sprach mich eine Frau an, Klüting, mein Name, das Papier wurde immer schwerer, Linnemann hatte ich aus den Augen verloren, Fachabteilungsleiterin Englisch, sagte Frau Klüting, wir haben morgen eine Fachkonferenz, bei der es um die Frage geht, ob wir uns weiter der Klett-Diktatur beugen oder fürs nächste Jahr endlich das Cornelsen-Lehrwerk einführen, das dürfte auch für Sie interessant sein, Sie sind doch Englischlehrer, was machen Sie denn mit dem Papier da? Sievers, Erdkunde, Sport, das ist mein Tisch, Sie können das Papier nicht einfach, hierher, hörte ich Linnemanns Stimme, griff mir das Papier und nickte Herrn Sievers zu, tut mir Leid, sagte ich und wollte mich wieder an Klüting wenden, auf die stürmte aber gerade ein Lehrer zu, Gisela, rief er, Gisela, ich hab’s dir hundertmal gesagt, nicht die 8c, hab ich gesagt, nicht die 8c, alles, nur nicht die 8c, und was hab ich gekriegt – die 8c, das tue ihr Leid, sagte Gisela Klüting, aber ihr seien da die Hände, sie müsse eben auch, wenn da von oben was komme, sagen Sie, rief mir jemand ins Ohr, haben Sie die Schnabeltassen gesehen, die stehen sonst immer hier auf dem Schrank, ich schüttelte den Kopf, sechs Uhr fünfundzwanzig, schrie jemand neben mir, das glaubt man nicht, sechs Uhr fünfundzwanzig ruft eine Mutter bei mir an, heute Morgen, um ihren Sohn zu entschuldigen, Bronchitis, sechs Uhr fünfundzwanzig, das musst du dir vorstellen, und zwar bei mir , nicht im Sekretariat, nicht bei Bassel, nicht bei Höllinger, nein, bei mir, letztes Jahr war das, hörte ich eine andere Stimme, vor der Notenkonferenz, da sagt der mir, Frau Straub, machen Sie aus der fünf ’ne vier, ich sag, ich denk nicht dran, das ist ’ne fünf, Frau Straub, sagt der, machen Sie ’ne vier draus, das ist der Schiedle Philipp, der Sohn vom Schiedle Heribert, der ist nicht schlechter als vier, ich sag, ich kann doch nicht die ganzen Klausuren umkorrigieren, nein, sagt der, das können Sie nicht, aber mündlich, sagt er, war der doch bestimmt zwei, der Philipp, nein, sag ich, sechs war der, nichts gesagt, das ganze Schuljahr, zum letzten Mal, sagt er, machen Sie aus der fünf ’ne vier, Marxismus, rief ein anderer Lehrer, endlich raus aus dem Lehrplan, wurd auch Zeit, weg mit dem Zeug, weg mit den Marx-Engels-Schinken, fachfremd, rief jemand neben mir, wer bin ich eigentlich, was hab ich denn studiert – Mathe, Physik – und was muss ich unterrichten – Musik – jedes Jahr dasselbe, aber gut, wenn der das will, mir soll’s recht sein, aber eins sag ich euch gleich, gesungen wird nicht, die sollen die Fläche von Schallplatten ausrechnen oder Noten mit dem Zirkel malen, aber gesungen wird nicht, das sag ich euch gleich. Ich schlug mich endlich zu Linnemann durch und legte das Papier auf das Schränkchen neben den Kopierer. Ich danke Ihnen, sagte Linnemann. Plötzlich wurde es ruhig. Der Chef , flüsterte eine junge Frau, die an der Wand stand und einen Ordner an die Brust gepresst hatte. Höllinger trat ein.

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    I m Namen der Kultusministerin, des Oberschulamtspräsidenten und des Schulträgers wolle er, Höllinger, alle hier versammelten Kollegen herzlich zur ersten Gesamtlehrerkonferenz des neuen Schuljahres begrüßen, die hiermit eröffnet sei. Wie man anhand der ausgeteilten Tagesordnungspunktezettel ersehen könne, sei Tagesordnungspunkt eins dem Thema Sicherheit gewidmet, Tagesordnungspunkt zwei der Vorstellung der neuen Kollegen, Tagesordnungspunkt drei zum Thema Kreativität finde im Anschluss an den regulären Unterricht, also nach der fünften Stunde um zwölf Uhr fünfzehn statt. Bevor man nun in einen fruchtbaren Austausch trete, erachte er, Höllinger, es als
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