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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer
Autoren: Markus Orths
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aber er stierte nur auf die nächste Treppenstufe.
    Das Sekretariat lag genau in der Mitte zwischen dem Büro des Direktors und dem seines Stellvertreters. Herr Kranich, empfing mich die erste Sekretärin, gut, dass Sie so früh da sind, Sie sollen sofort zum Stellvertreter kommen. Ich klopfte, Herr Bassel bat mich herein, er zeigte auf einen Stuhl, und ich setzte mich. Ich bin noch keine zehn Minuten im Büro, schnaufte Bassel, da ruft schon der Erste an und meldet sich ab. Für die ganze Woche. Erkältet! Als ob das ein Grund wäre zu fehlen! Und gleich die ganze Woche! Woher will der jetzt schon wissen, rief Bassel, wie lange die Erkältung dauert? Kranich, ich geb Ihnen einen guten Rat, gleich zu Beginn: Bleiben Sie gesund! Und sollten Sie doch einmal krank werden, schleppen Sie sich trotzdem her! Ein kranker Lehrer ist besser als gar keiner. Unterrichtsausfall, sagte Bassel und verzog das Gesicht. Wissen Sie, wie viel Zeit ich hier täglich mit dem Erstellen des Vertretungsplans vergeude? Einmal, sagte Bassel, ein einziges Mal nur in meiner Laufbahn als Stellvertreter habe ich einen Zettel ans Schwarze Brett gehängt, auf dem alles weiß war, ein schönes, herrliches, strahlendes Weiß, keiner krank, keiner in Sonderurlaub, keiner auf diesen unnützen, zeitraubenden, Unterrichtsausfall fördernden Fortbildungen, alle waren sie da, alle, es war der 17. Oktober 1991, das weiß ich noch wie heute, ich habe das Blatt noch, es muss irgendwo hier liegen, soll ich es Ihnen zeigen, es ist eigentlich nur ein unbeschriebenes weißes Blatt mit nichts drauf, ach was, Kranich, wir müssen uns beeilen, ich zeige es Ihnen ein andermal. Was ich Ihnen eigentlich sagen wollte, Kranich, ist Folgendes: Sie selbst sind ja bereits, ohne es zu wissen, ein Opfer dieser kranken Lehrersubjekte geworden. Herr Beuten ist für das nächste halbe Jahr außer Gefecht, Bandscheibenvorfall, lächerlich, als ob man nicht auch im Sitzen unterrichten könnte, die Schule ist ja für Rollstuhlfahrer ausgerichtet. Aber diese kriminellen Ärzte haben ihn krankgeschrieben. Und das Oberschulamt hat eine Krankheitsvertretung mit falscher Fächerkombination geschickt. Ich musste den Stundenplan ändern, und Sie, Kranich, haben dabei die 11b verloren. Stattdessen übernehmen Sie die 10d. Das ist eine Ehre übrigens, denn dort sitzt der Sohn des Direktors, persönlich, und die Klasse mit dem Sohn des Direktors kriegt im Allgemeinen nur die allerbesten Lehrer, in Ihrem Fall muss sich das erst noch rausstellen, der Direktor scheint ja keine besonders hohe Meinung von Ihnen zu haben, ist ja egal, was ich sagen will, 10d statt 11b, die erste Stunde ist schon heute, Lehrwerk Klett, erste Fremdsprache, 19 Schüler, nur die Besten, sieben von ihnen sind zweisprachig erzogen, die werden sich jeden Fehler notieren, den Sie machen, bei mehr als zwei Fehlern pro Stunde kann das negative Auswirkungen auf Ihre Beurteilung haben, aber das nur in Klammern, was ich sagen will, ist, das dürfte ja kein Problem für Sie sein, Klasse 10 statt 11, eine gute Klasse, freuen Sie sich, Kranich. Haben Sie noch Fragen? Nein? Dann einen guten Start. Ich fragte im Sekretariat nach dem Lehrbuch für die Stufe 10, die Sekretärin sagte, ich solle in der Lehrerbibliothek nachsehen, ich nickte, verließ das Sekretariat und ging Richtung Lehrerzimmer.
    Es sollte das einzige Mal bleiben, in dieser Woche, dass die Tür des Lehrerzimmers offen stand, eine Tatsache, die dem Umstand zu verdanken war, dass unermüdlich Lehrer das Lehrerzimmer betraten und Lehrer das Lehrerzimmer verließen. Bis auf den Flur hörte man die verschiedensten Rufe. Ich schloss kurz die Augen, holte tief Luft und wollte gerade eintreten, als ich einem der Lehrer in die Arme lief. Ach, das ist gut, sagte er und zog mich wieder vom Lehrerzimmereingang zurück auf den Flur, Sie sind einer von den Neuen, haben Sie einen Augenblick Zeit, Linnemann mein Name, Studienrat, es gibt kaum noch Kopierpapier, das glaubt man nicht, erster Schultag und kein Kopierpapier, kommen Sie, wir müssen in den Keller, das ist freundlich von Ihnen, dass Sie mich begleiten, wie ist Ihr Name, wissen Sie, ich kann mir Namen sowieso nicht merken, aber sagen Sie ihn ruhig.
    Ich: Kranich.
    Linnemann: Fächer?
    Ich: Englisch, Deutsch.
    Linnemann: Oberstufe?
    Ich: Ja, eine 11, das heißt, nein, nur eine 10, also eigentlich zwei 10en, jetzt, mit der 10 in Englisch.
    Linnemann, bleckend: Also Sie sollten schon wissen, welche Klassen Sie haben,
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