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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer
Autoren: Markus Orth
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rief ein anderer Lehrer, endlich raus aus dem Lehrplan, wurd auch Zeit, weg mit dem Zeug, weg mit den Marx-Engels-Schinken, fachfremd, rief jemand neben mir, wer bin ich eigentlich, was hab ich denn studiert – Mathe, Physik – und was muss ich unterrichten – Musik – jedes Jahr dasselbe, aber gut, wenn der das will, mir soll’s recht sein, aber eins sag ich euch gleich, gesungen wird nicht, die sollen die Fläche von Schallplatten ausrechnen oder Noten mit dem Zirkel malen, aber gesungen wird nicht, das sag ich euch gleich. Ich schlug mich endlich zu Linnemann durch und legte das Papier auf das Schränkchen neben den Kopierer. Ich danke Ihnen, sagte Linnemann. Plötzlich wurde es ruhig. Der Chef, flüsterte eine junge Frau, die an der Wand stand und einen Ordner an die Brust gepresst hatte. Höllinger trat ein.

    4

    Im Namen der Kultusministerin, des
    Oberschulamtspräsidenten und des Schulträgers wolle er, Höllinger, alle hier versammelten Kollegen herzlich zur ersten Gesamtlehrerkonferenz des neuen Schuljahres begrüßen, die hiermit eröffnet sei. Wie man anhand der ausgeteilten
    Tagesordnungspunktezettel ersehen könne, sei
    Tagesordnungspunkt eins dem Thema Sicherheit gewidmet, Tagesordnungspunkt zwei der Vorstellung der neuen Kollegen, Tagesordnungspunkt drei zum Thema Kreativität finde im Anschluss an den regulären Unterricht, also nach der fünften Stunde um zwölf Uhr fünfzehn statt. Bevor man nun in einen fruchtbaren Austausch trete, erachte er, Höllinger, es als seine Pflicht, sich zunächst bei den neuen Kollegen dafür zu entschuldigen, dass keine Arbeitstische für sie zur Verfügung stünden, aber die Situation sei die, dass gerade über einen Ausbau der Schule verhandelt werde, und solange der
    Gemeinderat kein grünes Licht gebe, müsse man sich mit dem wenigen Platz begnügen, der einem beschieden sei, was er, Höllinger, sehr bedaure, aber er habe die Schule ja schließlich nicht erbaut und könne nichts dafür, dass sein eigenes Büro genauso groß sei wie das Lehrerzimmer. Die neuen Lehrer könnten sich aber einen Stuhl aus dem Keller holen und sich vor die Bücherregale der Bibliothek hocken, von denen einige zu diesem Zweck leer geräumt worden seien. Höllinger machte eine Pause, betrachtete den Zettel mit den
    Tagesordnungspunkten, dachte einen Augenblick nach und beugte sich dann zum Stellvertreter, die beiden wechselten einige Worte, der Stellvertreter nickte, und Höllinger sagte, da man nun gerade schon bei den neuen Kollegen sei, habe er soeben im kleinen Führungsgremium beschlossen, den
    Tagesordnungspunkt zwei vorzuziehen, dabei handle es sich, wie man sehen könne, um die Vorstellung ebendieser neuen Kollegen, und er bitte darum, die Änderung der
    Tagesordnungspunktereihenfolge im Protokoll zu vermerken.
    Höllinger erwähnte zunächst die Unterreferendare, die noch nicht anwesend waren, weil sie die ersten Wochen geschlossen im Seminar verbrachten, drei Unterreferendare, sagte er, darunter zwei Frauen. Die Oberreferendare, sagte er, begrüße er herzlich, allen voran Herrn Kracht, einen, wie Höllinger sagte, waschechten Göppinger, er freue sich ganz besonders, dass ein gebürtiger Göppinger sein Kollegium fortan
    bereichern werde, ein Göppinger, der nicht nur die Stadt nie verlassen habe und immer noch hier wohne, nur zweieinhalb Gehminuten vom ERG entfernt, nein, ein Göppinger, der auch, davon sei er, Höllinger, überzeugt, durch sein göppingsches Wesen, ja, er wolle sagen, seine göppingsche Seele, mit dazu beitragen werde, das Klima an der Schule erheblich zu
    verbessern, und schon jetzt könne er sagen, dass er, Höllinger, sich auch nach Ende dieses Schuljahres sehr darum bemühen werde, den Göppinger an der Schule zu behalten. Er,
    Höllinger, müsse, wenn er sich die Akte Herrn Krachts ansehe, voll Anerkennung den Hut ziehen vor dessen Leistungen.
    Kracht habe herausragende Noten aus dem ersten Jahr
    mitgebracht, eine exzellente Beurteilung seitens seines, Höllingers, Vorgängers, und soweit er sehe, habe Kracht nur einen einzigen Fehler im Lebenslauf. Die Lehrer lauschten aufmerksam, als Höllinger sagte, er, Kracht, habe vor Zeiten sein Abitur an der falschen Göppinger Schule gemacht, also nicht am ERG, sondern drüben, am KNOGY. Die Lehrer lachten leise und höflich, und Höllinger lehnte sich zurück.
    Dann stellte er auch die übrigen Neuankömmlinge vor.
    Kranichs Noten, sagte er, seien eher mau, seine Einstellung in den Schuldienst habe Kranich
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