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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer
Autoren: Markus Orth
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lediglich der diesjährigen Landtagswahl zu verdanken, bei der wie üblich zusätzliche Lehrerstellen als Wählerfutter bewilligt worden seien. Darüber hinaus sehe es allerdings so aus, dass die fetten Zeiten sich dem Ende zuneigten, die Zeiten, in denen man ihm, Höllinger, nur Einser-Assessoren zugeführt habe, und schlimmer noch, es habe ganz den Anschein, dass sich wieder die Jahre näherten, in denen man nehmen müsse, was komme, Lehrernotstand
    nenne man das, jedenfalls, was er sagen wolle, seine Schuld sei es nicht, er könne nichts dafür, dass die Qualität der Kollegen stetig abnehme, das liege nicht in seiner Macht, er müsse sich da dem Oberschulamt fügen.
    Er wolle nun, fuhr Höllinger fort, auf den übersprungenen Tagesordnungspunkt Sicherheit zu sprechen kommen und beginnen mit der Erinnerung an jenen Zwischenfall, der sich im Winter des letzten Jahres ereignet habe, als während einer großen Pause einem Schüler aus einem unabgeschlossenen Klassenzimmer Geld gestohlen worden sei, was eine
    berechtigte Beschwerde seitens der Eltern beim Oberschulamt nach sich gezogen hätte, woraufhin er, Höllinger, nun einen Direktionsbeschluss verfasst habe, welcher besage, dass ab sofort in jeder großen Pause sämtliche Zimmer dieser Schule, wie es sich gehöre, abzuschließen seien, nämlich vom
    jeweiligen vor der großen Pause im Zimmer unterrichtenden Lehrer. Dieser habe laut Direktionsbeschluss fortan zu warten, bis alle Schüler das Zimmer verlassen hätten, um dann
    ordnungsgemäß die Tür zu verriegeln. Er, Höllinger, wolle nun in einer Abstimmung die Annahme dieses Beschlusses von der GLK bestätigen lassen. Wenn also einer der anwesenden Lehrer etwas gegen den Beschluss einzuwenden habe, was sicher nicht der Fall sei, so solle er sich jetzt melden. Drei Gegenstimmen, zählte Höllinger und schnaufte ein wenig, Herr Jensen, na klar, Frau Bechtold, Herr Renner, also gut. Dann wandte sich Höllinger wieder ans Kollegium und sagte, er sehe, dass die große Mehrheit richtig entschieden habe, es sei also der Beschluss der Lehrerschaft, den wir fortan gemeinsam zu tragen hätten, ein jeder habe sich an diesen Beschluss zu halten, nur so seien wir, das ERG, in der Lage, einen Mindestsicherheitsstatus aufrechtzuerhalten, denn nur, wenn die Sicherheit unserer Schüler gewährleistet sei, könne sich Vertrauen einstellen, Vertrauen der Eltern, auch weiterhin Kinder in unsere Hände zu geben, und die Sicherheit könne nur dann gewährleistet sein, wenn wir dafür Sorge trügen, dass ein solcher Vorfall, wie geschehen im letzten Jahr, sich nie wieder ereigne. Dazu müsse weiterhin sichergestellt werden, dass die kostbaren Schlüssel, die sich in der Lehrerobhut befänden, dort so aufgehoben seien, dass kein Unbefugter sie in die Hand bekommen könne. Und um die Beobachtung
    dieser Sorgfaltspflicht seitens der Lehrer zu kontrollieren, habe er wie in jedem Jahr einen GSB, einen Geheimen
    Sicherheitsbeamten benannt. Beim GSB – dies sage er für die neuen Kollegen – handle es sich um einen Lehrer des
    Kollegiums, dessen Identität niemandem außer ihm, Höllinger selbst, bekannt sei. Der GSB habe die Aufgabe, während des Schuljahres Schlüssel von Kollegen zu entwenden, die diese unachtsam auf einem Tisch oder sonstwo würden liegen
    lassen. Sollte dem GSB dies gelingen, würde er pro
    Schlüsselentwendung in der Leistungsstufenbeurteilung um einen Punkt steigen, der bestohlene, unachtsame, seinen Pflichten nicht nachgekommene Lehrer dagegen um einen
    Punkt zurückgestuft. So wolle er, Höllinger, vor allem die neuen Lehrer in ihrem eigenen Interesse von Anfang an
    auffordern, peinlich genau darauf zu achten, die Schlüssel stets bei sich zu führen und wenn möglich mit einer Schnur fest an einer Gürtelschlaufe der Hose befestigt zu halten. Den alten Lehrern dürfte dies inzwischen in Fleisch und Blut
    übergegangen sein. Man solle nie vergessen, schloss Höllinger, die wichtigsten Dinge an dieser Schule seien die Schlüssel, die wichtigsten Kompetenzen des Lehrers Schlüsselkompetenzen.

    5

    Nach der Konferenz lehnte sich die Hälfte der Lehrerschaft auf ihren Stühlen zurück, während die übrige Hälfte aufsprang, sich die Schultaschen schnappte und aus dem Lehrerzimmer stürzte. Das waren die Klassenlehrer, die für eine der Unterstufenklassen verantwortlich waren. Ich war entgegen Höllingers Ankündigung weder zwei Klassen zugeteilt worden noch einer einzigen, ich hatte aus unerfindlichen Gründen
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