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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer
Autoren: Markus Orth
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dürfte ja kein Problem für Sie sein, Klasse 10 statt 11, eine gute Klasse, freuen Sie sich, Kranich. Haben Sie noch Fragen?
    Nein? Dann einen guten Start. Ich fragte im Sekretariat nach dem Lehrbuch für die Stufe 10, die Sekretärin sagte, ich solle in der Lehrerbibliothek nachsehen, ich nickte, verließ das Sekretariat und ging Richtung Lehrerzimmer.
    Es sollte das einzige Mal bleiben, in dieser Woche, dass die Tür des Lehrerzimmers offen stand, eine Tatsache, die dem Umstand zu verdanken war, dass unermüdlich Lehrer das
    Lehrerzimmer betraten und Lehrer das Lehrerzimmer
    verließen. Bis auf den Flur hörte man die verschiedensten Rufe. Ich schloss kurz die Augen, holte tief Luft und wollte gerade eintreten, als ich einem der Lehrer in die Arme lief.
    Ach, das ist gut, sagte er und zog mich wieder vom
    Lehrerzimmereingang zurück auf den Flur, Sie sind einer von den Neuen, haben Sie einen Augenblick Zeit, Linnemann mein Name, Studienrat, es gibt kaum noch Kopierpapier, das glaubt man nicht, erster Schultag und kein Kopierpapier, kommen Sie, wir müssen in den Keller, das ist freundlich von Ihnen, dass Sie mich begleiten, wie ist Ihr Name, wissen Sie, ich kann mir Namen sowieso nicht merken, aber sagen Sie ihn ruhig.
    Ich: Kranich.
    Linnemann: Fächer?
    Ich: Englisch, Deutsch.
    Linnemann: Oberstufe?
    Ich: Ja, eine n, das heißt, nein, nur eine 10, also eigentlich zwei 10en, jetzt, mit der 10 in Englisch.
    Linnemann, bleckend: Also Sie sollten schon wissen, welche Klassen Sie haben, Kranich.
    Ich: Das liegt daran, dass ich eben erst…
    Linnemann: Welche 10 ist es denn?
    Ich: 10d.
    Linnemann: Auch das noch.
    Ich: Was?
    Linnemann: Sie wissen, wer in der 10d sitzt?
    Ich: Der Sohn des Direktors?
    Linnemann: Höllinger, Horst.
    Ich: Horst?
    Linnemann: Hat schon zwei von uns auf dem Gewissen.
    Wir stiegen beide Arme voll Kopierpapier wieder hoch,
    kommen Sie, rief Linnemann, in fünf Minuten geht’s los, wir müssen uns beeilen, ich betrat mit den Papierpacken das Lehrerzimmer und konnte nicht auf die Lehrer achten, die rechts und links und vor und hinter mir unterwegs waren, ich folgte einfach Linnemann, hier entlang, rief er, da drüben steht der Kopierer, Papierstau, hörte ich eine Stimme vom Kopierer, noch dreieinhalb Minuten, rief jemand, Sie müssen Herr Kranich sein, sprach mich eine Frau an, Klüting, mein Name, das Papier wurde immer schwerer, Linnemann hatte ich aus den Augen verloren, Fachabteilungsleiterin Englisch, sagte Frau Klüting, wir haben morgen eine Fachkonferenz, bei der es um die Frage geht, ob wir uns weiter der Klett-Diktatur beugen oder fürs nächste Jahr endlich das Cornelsen-Lehrwerk
    einführen, das dürfte auch für Sie interessant sein, Sie sind doch Englischlehrer, was machen Sie denn mit dem Papier da?
    Sievers, Erdkunde, Sport, das ist mein Tisch, Sie können das Papier nicht einfach, hierher, hörte ich Linnemanns Stimme, griff mir das Papier und nickte Herrn Sievers zu, tut mir Leid, sagte ich und wollte mich wieder an Klüting wenden, auf die stürmte aber gerade ein Lehrer zu, Gisela, rief er, Gisela, ich hab’s dir hundertmal gesagt, nicht die 8c, hab ich gesagt, nicht die 8c, alles, nur nicht die 8 c, und was hab ich gekriegt – die 8c, das tue ihr Leid, sagte Gisela Klüting, aber ihr seien da die Hände, sie müsse eben auch, wenn da von oben was komme, sagen Sie, rief mir jemand ins Ohr, haben Sie die
    Schnabeltassen gesehen, die stehen sonst immer hier auf dem Schrank, ich schüttelte den Kopf, sechs Uhr fünfundzwanzig, schrie jemand neben mir, das glaubt man nicht, sechs Uhr fünfundzwanzig ruft eine Mutter bei mir an, heute Morgen, um ihren Sohn zu entschuldigen, Bronchitis, sechs Uhr
    fünfundzwanzig, das musst du dir vorstellen, und zwar bei mir, nicht im Sekretariat, nicht bei Bassel, nicht bei Höllinger, nein, bei mir, letztes Jahr war das, hörte ich eine andere Stimme, vor der Notenkonferenz, da sagt der mir, Frau Sträub, machen Sie aus der fünf ‘ne vier, ich sag, ich denk nicht dran, das ist ‘ne fünf, Frau Sträub, sagt der, machen Sie ‘ne vier draus, das ist der Schiedle Philipp, der Sohn vom Schiedle Heribert, der ist nicht schlechter als vier, ich sag, ich kann doch nicht die ganzen Klausuren umkorrigieren, nein, sagt der, das können Sie nicht, aber mündlich, sagt er, war der doch bestimmt zwei, der Philipp, nein, sag ich, sechs war der, nichts gesagt, das ganze Schuljahr, zum letzten Mal, sagt er, machen Sie aus der fünf ‘ne vier, Marxismus,
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