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Legende der Angst

Legende der Angst

Titel: Legende der Angst
Autoren: Christopher Pike
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nicht nur eine phantastische Tänzerin, sie konnte auch malen, singen, Flöte spielen und war – so sagte sie selbst von sich – unglaublich gut im Bett. Mit Jim, so hatte sie geschwärmt, sei es am besten.
    Drei Monate war das her. Damals war er der Beste gewesen. Und letzte Nacht hatte sie alles in ihrer Macht Stehende versucht, ihn umzubringen.
    »Ich werde dich töten, wenn ich muß – um ihn zu erwischen.«
    Plötzlich trat Mary durch die Tür, begleitet von einer uniformierten Polizistin. Sie nahm auf dem Stuhl Angela gegenüber Platz. Es war ein Metallstuhl, der am Boden verankert war, und Marys Linke wurde mit Handschellen daran gekettet. Das graue Hemd und die Hosen sahen aus wie ein ungewaschener Pyjama – die Sachen sackartig und alles andere als vorteilhaft. Angela war schockiert darüber, wie fremd ihre Freundin aussah.
    Eigentlich war Mary eine Schönheit. Ihr braunes Haar war wie das von Angela kurz geschnitten, aber es war trotzdem anders. Marys Haar schimmerte seidig, Angelas war matter. Marys Augen waren groß und von hellem Grün, Angelas einfach nur blau. Mary hatte Traummaße – wenn sie einen Badeanzug trug, verrenkten sich selbst Typen, die hundert Meter weit weg waren, noch die Köpfe nach ihr. Angela war schmal und hatte Probleme damit, zuzunehmen, wahrscheinlich weil sie auch zu wenig aß.
    Etwas zu essen stand an diesem Tag bestimmt nicht ganz oben auf ihrer Liste. Mary einfach nur so zu sehen, das verdarb ihr schon den Appetit.
    Man hatte Mary einen dicken Kopfverband angelegt, und die Ärzte hatten keine Rücksicht auf ihr Haar genommen, als sie Mary behandelt hatten. Oben auf dem Kopf hatten sie es ihr einfach abrasiert. Ihre Rechte war bis zum Handgelenk bandagiert. Nguyen war ein guter Schütze.
    Mary sah sie über den Tisch hinweg mit blutunterlaufenen Augen an.
    »Ja, also«, sagte Angela.
    »Ja, also«, erwiderte Mary.
    »Was macht dein Kopf?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Tut er weh?« fragte Angela.
    »Ich weiß nicht.«
    »Hast du letzte Nacht geschlafen?«
    »Ein bißchen. Und du?«
    »Ein wenig«, sagte Angela.
    »Das ist gut. Was machst du hier?«
    »Ich bin gekommen, um zu sehen, wie es dir geht.«
    »Ich bin in Ordnung. Sonst noch was?«
    »Ja.«
    »Und was?« meinte Mary.
    »Du weißt was. Was, zum Teufel, ist passiert?«
    Mary zuckte mit den Schultern. »Du warst dabei. Du hast alles gesehen.«
    »Das meine ich nicht, und das weißt du auch. Warum hast du es getan?«
    Mary schien gelangweilt. »Wenn ich es dir sagen würde, würdest du mir nicht glauben.«
    »Gib mir eine Chance.«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Du würdest mir nicht glauben.«
    »Mary, du hast zwei Menschen erschossen. Und du hättest fast noch einen dritten umgebracht – Jim. Was denkst du darüber?«
    Mary starrte auf den Boden. »Ich denke nichts.«
    »Nichts? Denkst du nicht einmal, daß du bedauern solltest was du gemacht hast? Gott, weißt du eigentlich, was du ihren Familien angetan hast?«
    Mary atmete tief ein. »Mir tun ihre Familien leid. Und Bedauern empfinde ich auch.«
    Angela seufzte. »Das hätte ich mir auch nicht anders vorstellen können.«
    »Ich bedauere, daß der Polizist mich gestoppt hat, bevor ich Jim erwischen konnte.«
    Angela war außer sich. »Aber warum? Was hat Jim dir getan?« Mary hob den Kopf und sah Angela an. »Er hat mir gar nichts getan.«
    Angela schwieg eine Weile. »Hat er denn irgendjemand anderem etwas getan?«
    »Glaub mir einfach, Angie. Es hat keinen Sinn, darüber zu reden.«
    »Was hat Jim getan?« wiederholte Angela.
    Mary lachte bitter auf. »Menschenskind, wenn du wüßtest.«
    Angela erinnerte sich plötzlich an etwas, daß Mary in der vergangenen Nacht gesagt hatte.
    »Weil er kein menschliches Wesen ist.«
    »Kein menschliches Wesen«, flüsterte Angela.
    Mary war augenblicklich ganz Ohr. »Was meinst du?«
    »Du hast letzte Nacht gesagt, Jim wäre kein menschliches Wesen.«
    »Nein. Das habe ich nicht.«
    »Ich habe es dich sagen hören, Mary. Ich erinnere mich. Streite es jetzt nicht ab. Warum hast du das gesagt?«
    Mary hatte sich verändert. Sie wirkte nicht länger gelangweilt, gleichgültig oder trotzig. Sie war blaß, ihr Mund zuckte. Sie hatte Angst.
    Diese Tatsache allein ängstigte Angela mehr als alles, was vergangene Nacht passiert war. Mary wandte sich ab und preßte die Hände vors Gesicht.
    »Weil es wahr ist«, sagte sie.
    Angela streckte die Hand über den Tisch aus und berührte Marys Arm. »Was ist wahr? Was hat er getan?«
    Es
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